Totenstille in Cottbus
Folge 96 der nd-Serie »Ostkurve«: Schwärzester Tag der Vereinsgeschichte für Energie
Der 14. Mai hat in Cottbus seinen Glanz verloren. Vor zehn Jahren stiegen die Fußballer des FC Energie an diesem Tag in die 1. Bundesliga auf. Genau zehn Jahre später ereilte den einstigen Stolz der Lausitz der bittere Abstieg in die Regionalliga Nordost. Ausgerechnet im Jahr des 50-jährigen Vereinsjubiläums sind die Nachfahren von Eduard Geyer, der bei der entscheidenden 2:3-Niederlage gegen die zweite Mannschaft von Mainz 05 am Sonnabend als TV-Experte im Stadion der Freundschaft dabei war, erstmals nur noch viertklassig.
In der Begegnung vor 13 841 Zuschauern hätte Cottbus den Klassenerhalt aus eigener Kraft schaffen können. Mit einem Sieg wären die Brandenburger zum dritten Mal in Folge in der 3. Liga aufgelaufen. Doch der Supergau trat ein, obwohl Energie nach dem 0:1-Rückstand durch Julian Derstroff (49.) noch einmal zurückkam. Kapitän Richard Sukuta-Pasu machte mit einem Doppelpack alle Energie-Fans glücklich. Erst verwandelte er einen geschenkten Strafstoß zum 1:1 (57.). Dann gelang ihm sogar das erlösende 2:1-Führungstor (78.). Spieler und Fans der Cottbuser wähnten sich in Gedanken vielleicht schon bei einer grandiosen Nichtabstiegsparty. Der gesperrte Defensivmann Christopher Schorch stand beim Torjubel neben Sukuta-Pasu auf dem Platz. Energie-Trainer Claus-Dieter Wollitz kniete nach einem wilden Sturmlauf über den Rasen vor der Haupttribüne.
Doch zwei Minuten vor Spielende verwandelte sich der Jubel im Stadion schlagartig in Totenstille. In diesem Moment kassierte Cottbus durch Fabian Kalig den 2:2-Ausgleich (88.). Der bedeutete schon Energies Abstieg. Das 2:3 durch Marcel Costly in der Nachspielzeit war dann bedeutungslos. »Die Gefühlslage war unwirklich. Wir hatten einen Sechser im Lotto und haben vergessen, den Lottoschein abzugeben«, sagte Energie-Präsident Wolfgang Neubert.
Viele Spieler brachen weinend zusammen. Wollitz versuchte, mit einer Rede über das Stadionmikro die Verantwortung zu übernehmen. Doch als er sagte, dass die Spieler keine Schuld am Abstieg hätten, schlug die Trauerstimmung in Frust um. Rund 150 teilweise vermummte Energie-Anhänger stürmten den Platz und rannten zu den Spielern. Das passte zum schwärzesten Tag der Vereinsgeschichte.
Die Gründe für den Absturz sind vielfältig. In den letzten Jahren wurden in Cottbus einige falsche Entscheidungen getroffen. 2009 stieg man aus der 1. Bundesliga ab, 2014 aus der 2. Liga. Damit endete nach 17 Jahren die Zugehörigkeit zum wirklichen Profifußball.
Rückkehrer Wollitz ist in dieser Spielzeit bereits der dritte Trainer. Stefan Krämer, der mit Rot-Weiß Erfurt die Klasse hielt, galt als zu weich. Bei der Zusammenstellung des Kaders hatte er speziell im Offensivbereich kein glückliches Händchen. Nachfolger und Ex-Energie-Profi Vasile Miriuta konnte nach kurzer Erfolgsphase die Spieler nicht mehr richtig motivieren. Wollitz blieben nur fünf Wochen Zeit. Das war zu wenig. Cottbus stolperte vor allem über die Heimschwäche. Es gab nur drei Siege im Stadion der Freundschaft.
Wollitz bleibt aber der Hoffnungsträger des Vereins. Das Präsidium und der Verwaltungsrat wollen weiter mit dem 50-Jährigen zusammenarbeiten. »Ich fühle mich mitverantwortlich. Der Verein muss aber auch Bedingungen schaffen«, sagte er. Bis Ende der Woche will er seine Entscheidung fällen.
Energie muss nun kurzfristig einen halbwegs vernünftigen Etat stemmen. 3,5 Millionen Euro wie in der 3. Liga sind wohl kaum noch möglich. Während in der 3. Liga rund 700 000 Euro TV-Geld flossen, gibt es in der Regionalliga nichts mehr. Einige Sponsoren halten weiter zum Klub. »Manche wollen sogar genauso viel Geld wie in der 3. Liga geben«, sagt Neubert. Der Verein wird aber nicht ohne Entlassungen in der Geschäftsstelle auskommen.
Die Spieler sind nun im Urlaub. Nur der Trainer redete mit ihnen bei der letzten Zusammenkunft am Sonntag. Ihre Verträge sind bis auf wenige Ausnahmen für die 4. Liga nicht gültig. Akteure wie Torsten Mattuschka, Christopher Schorch und Manuel Zeitz würden aber blieben. Wollitz will vor allem um Talente wie Felix Geisler kämpfen. Aber auch er weiß, nur mit jungen Akteuren wird es nichts mit dem Wiederaufstieg.
Ganz unglücklich ist der Abstiegstag für Patrick Breitkreuz gelaufen. Ob sich der 24-jährige Mittelfeldmann tatsächlich einen Kreuzbandriss zuzog, wird am Dienstag eine MRT-Untersuchung ergeben.
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