Erdogan will Oppostionspartei HDP die Immunität entziehen
HDP-Politiker Selahattin Demirtas warnt vor Unruhen, sollte der Beschluss umgesetzt werden
Istanbul. Das türkische Parlament will am Dienstag in einer ersten Runde über die einmalige Aufhebung der Immunität von knapp einem Viertel der Abgeordneten abstimmen. Das soll über eine vorübergehende Verfassungsänderung geschehen, für die in der Nationalversammlung in Ankara bei zwei Wahlgängen jeweils eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Die zweite Runde ist für Freitag geplant. Der von der AKP-Regierung in die Wege geleitete Schritt zielt vor allem auf die pro-kurdische Oppositionspartei HDP ab.
Insgesamt soll nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu die Immunität von 136 Abgeordneten aller vier im Parlament vertretenen Parteien aufgehoben werden. Allerdings ist die 59-köpfige HDP-Fraktion besonders schwer betroffen: 50 ihrer Abgeordneten soll vor allem wegen Terrorvorwürfen die Immunität genommen werden. Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft der HDP vor, der »verlängerte Arm« der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.
Die HDP warnte vergangene Woche vor einem »neuen totalitären Angriff« auf die parlamentarische Demokratie. Die Verfassungskommission hatte zu Monatsbeginn den Weg für die einmalige Aufhebung der Immunität frei gemacht. In der Kommission war es zuvor zu Prügeleien gekommen.
Der türkische HDP-Politiker Selahattin Demirtas hat vor der geplanten Aufhebung der parlamentarischen Immunität für zahlreiche Abgeordnete im Parlament in Istanbul gewarnt. In diesem Fall drohe Gewalt, sagte der Chef der prokurdischen Partei HDP dem ARD-Hörfunkstudio Istanbul. Die Debatte über die Immunitätsaufhebung soll am Montag im Parlament beginnen.
Der geplante Schritt richte sich in erster Linie gegen seine Partei, sagte Demirtas. Sollten die HDP-Parlamentarier ihre Immunität verlieren, »werden die Bürger ihren Glauben an eine demokratische und friedliche Politik komplett verlieren« und nach »anderen Mitteln und Wegen« suchen, sagte der HDP-Politiker. Er warf Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor, offenbar einen Bürgerkrieg provozieren zu wollen, um aus dem entstehenden Chaos heraus das von ihm geplante Präsidialsystem einführen zu können.
Die islamisch-konservative Regierung von Präsident Erdogan geht seit Monaten verstärkt gegen die HDP vor. Erdogan unterstützt das Strafverfahren gegen die beiden HDP-Vorsitzenden wegen deren Forderung nach Autonomie für die türkischen Kurdengebiete.
Auch in vielen deutschen Städten wird gegen die Unterdrückung der linken Oppositionspartei HDP demonstriert. In Köln, Münster, Essen, Stuttgart und weiteren Städten soll der Protest auf die Straße getragen werden. Agenturen/nd
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