Gute Aussichten für eine Wiedervereinigung
Bei den Parlamentswahlen in Zypern ist die gemeinsame Zukunft der Insel das entscheidende Thema
Noch nie hat ein zyprischer Präsident den Mund so voll genommen. Nikos Anastasiades, das Staatsoberhaupt der Republik Zypern, verkündete im Mai, dass es möglich sei, bis Ende 2016 einen Plan für eine Wiedervereinigung vorzulegen. Seit einem Jahr verhandelt er mit seinem Konterpart Mustafa Akinci, dem Oberhaupt der Zyperntürken, über das Ende der Teilung Zyperns. Für den Erfolg greift Anastasiades zu harten Bandagen. Er setzte die Treffen des Nationalrates, des politischen Beratungsgremiums des Präsidenten zu Fragen des Zypernproblems, kurzerhand aus, nachdem immer wieder Interna an die Öffentlichkeit gelangt waren. Die Verhandlungen zur Wiedervereinigung sollten nicht durch populistische Ausschlachtung von Details bei den Kampagnen zur Parlamentswahl am 22. Mai gefährdet werden, so die Begründung für den Schritt.
Bei diesen Wahlen müssen die Parteien besonders hartnäckig um Stimmen buhlen. Die erwartete Wahlbeteiligung für Sonntag ist so niedrig wie nie zuvor. Zwei Drittel der Teilnehmer einer Umfrage gaben an, kein Interesse an den Wahlen zu haben. Experten vermuten, dass die Politikmüdigkeit mit dem ökonomischen Zusammenbruch des Staates und der Banken vor drei Jahren zusammenhängt, der Zweifel am verantwortungsbewussten Handeln der Parteien aufkommen ließ.
Darüber hinaus bringt die seither entstandene Transparenz-Bewegung immer neue Korruptionsskandale ans Licht, die Politiker aller Couleur in Misskredit bringen.
Obwohl Zypern im März 2016 den EU-Rettungsschirm verlassen hat, ist die wirtschaftliche Lage des Landes längst nicht entspannt. Daher gewinnt der pragmatische Gesichtspunkt einer Wiedervereinigung der seit 42 Jahren geteilten Insel Zypern immer mehr Zustimmung in der Bevölkerung. Eine vereinigte Republik Zypern verspricht ökonomisches Wachstum - angefangen von einer gemeinsamen Tourismusstrategie über den Handel mit der Türkei bis hin zu ausländischen Investitionen.
Im Wahlkampf kritisieren jedoch die Oppositionsparteien die Zugeständnisse, die Präsident Nikos Anastasiades von der christdemokratischen DISY bei den Verhandlungen mit den Zyperntürken macht. Allein die linke AKEL unterstützt seine Linie. Die Demokratische Partei (DIKO) fordert, dass bei der Wiedervereinigung die Republik Zypern nicht aufgelöst werden darf, um einem neuen Staat Platz zu machen. Die sozialistische EDEK beklagt, dass eine bizonale Lösung mit zwei Bundesstaaten, die jeweils mehrheitlich von Zyperngriechen beziehungsweise Zyperntürken bewohnt werden, »rassistisch« sei.
Doch die ethnische Gliederung der geplanten Bundesländer ist aus der Sicht der türkisch-zyprischen Nachbarn im Norden von essenzieller Bedeutung. Ein Vorfall aus der vergangenen Woche wirft ein Schlaglicht auf das künftige Zusammenleben der beiden Volksgruppen. Mitten in der Hauptstadt Nikosia wurden drei Zyperntürken bei ihrem Besuch im Süden in ihrem Auto von griechisch-zyprischen Fußballfans attackiert. Nicht allein das Verhalten der Hooligans steht dabei im Fokus der Kritik, sondern dass nach Aussagen der Opfer niemand ihnen zu Hilfe kam.
Die Gespräche zwischen Präsident Anastasiades und Mustafa Akinci, die während der Vorwahlperiode ausgesetzt wurden, sollen ab kommende Woche mit verstärkter Intensität weitergeführt werden. Die Kapitel Regierungsbildung, Europäische Angelegenheiten und Ökonomie sind auf technischer Ebene nahezu abgeschlossen. Spürbaren Fortschritt gab es auch beim emotional aufgeladenen Thema Eigentum. Hier wird nach fairen Kriterien gesucht, um Rückgabe und Entschädigung für die beim Einmarsch der türkischen Armee 1974 von flüchtenden Familien zurückgelassenen Häuser und Grundstücken zu regeln.
Falls es tatsächlich gelingt, bis Ende des Jahres einen Lösungsplan vorzulegen, ist eine Wiedervereinigung aber noch immer nicht sicher. Denn bei dem dann folgenden Referendum entscheidet jeder einzelne Bewohner mit seiner Stimme darüber, wie die Zukunft der Mittelmeerinsel Zypern aussehen wird.
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