Fehlbesetzung auf der Anklagebank
Statt auf öffentlich überführte Waffen-Geschäftemacher richtet die Justiz ihr Auge auf die Enthüller, darunter Jürgen Grässlin
Wäre es nach Jürgen Grässlin gegangen, würde es auf der Stuttgarter Anklagebank bald eng. Gegen 15 Personen hatte er vor mehr als fünf Jahren Anzeige erstattet: Mitarbeiter der Waffenschmiede Heckler & Koch, des Wirtschaftsministeriums und Bundesausfuhramtes. Über Jahre hatte er recherchiert und ihre Verwicklungen in illegale Waffenlieferungen in mexikanische Konfliktregionen dokumentiert. Hunderte Seiten interner Dokumente, zugespielt von Whistleblowern bei Heckler & Koch, hatte er den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt. Doch die entschieden: Nur in fünf Fällen rechtfertigten die Recherchen die Eröffnung eines Verfahrens.
Statt der Mitarbeiter des Ausfuhramtes und Wirtschaftsministeriums könnte Grässlin nun bald selbst auf der Anklagebank sitzen. Und zwar wegen eben dieser Whistleblower-Dokumente. »Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner«, wie ihn die »Zeit« nennt, steht zusammen mit den Journalisten Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg im Fokus von Ermittlungen der Münchener Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Grässlin und die beiden Filmemacher hätten »verbotene Mitteilungen über Gerichtsverfahren« gemacht.
Gemeint sind damit die preisgekrönte ARD-Dokumentation »Tödliche Exporte - wie das G36 nach Mexiko kam« und das Buch »Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden«. Darin wird aus den internen Schriftstücken zitiert, die Teil der Ermittlungen gegen Heckler & Koch-Mitarbeiter sind, für die die Staatsanwaltschaft Stuttgart fünf Jahre brauchte. Ermittlungen im Fall der mutmaßlich Verantwortlichen bei den staatlichen Kontrollbehörden wurden gar nicht erst aufgenommen.
»Die Staatsanwaltschaft spielt mit allen juristischen und taktischen Kniffen, um eine Erweiterung des Verfahrens zu verhindern«, meint Grässlins Anwalt Holger Rothbauer. Der Friedensaktivist selbst spricht von einem »Skandal ohnegleichen«. »Erschreckend ist vor allem, dass wir uns nicht nur in einem Kampf gegen die Rüstungsindustrie und führende Politiker der Regierungsparteien befinden, sondern auch gegen Teile der deutschen Justiz«, so Grässlin. Für ihn ist sicher, dass die Ermittlungen gegen ihn als Einschüchterungsversuch zu verstehen sind. »Normalerweise dürfte man erwarten, dass eine Staatsanwaltschaft dankbar ist, wenn investigative Journalisten solche offensichtlich illegalen Machenschaften aufdecken.« Stattdessen werde juristisch gegen Journalisten vorgegangen, die es wagten, den Finger in die Wunde zu legen. Ein klares Demokratieproblem, findet der Buchautor - und ein »Angriff auf die Pressefreiheit«.
Grässlin und seine Kollegen hätten noch einiges zu sagen. »Aus den Dokumenten der Whistleblower gäbe es noch vieles über widerrechtlichen Waffenhandel zu veröffentlichen, aber offenbar muss ich erst einmal vorsichtig sein.« Aufgeben wird er deshalb jedoch nicht. »Seit 25 Jahren bekomme ich Unterlassungsklagen von Konzernen - die allesamt final vor Gericht scheiterten«, sagt Grässlin. Er legt sich seit jeher mit den ganz Großen an: Daimler, VW, Heckler & Koch. Zahlreiche Waffenexportskandale hat er aufgedeckt, zehn Bücher über das Geschäft großer Konzerne mit dem Krieg geschrieben. Dass der Versuch, ihn mundtot zu machen, diesmal nicht direkt von den Konzernen, sondern von der Justiz kommt, ist für ihn »eine dramatische Steigerung, die ich nicht für möglich gehalten hätte.«
Für ihre Enthüllungen über illegale Waffenexporte nach Mexiko und die Verantwortung deutscher Kontrollbehörden hatten die Macher der ARD-Doku und Autoren des Buches »Netzwerke des Todes« den Grimme-Preis erhalten. Die Journalisten deckten auf, dass über 10 000 G36-Sturmgewehre und MP5-Maschinenpistolen in die mexikanischen Provinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero exportiert wurden. Für diese Provinzen besteht ein Ausfuhrverbot. Den Recherchen zufolge landeten die Waffen in den Händen korrupter Polizisten und Drogenbosse. Auch als die mexikanische Polizei auf Studenten schoss, kam das G36 zum Einsatz. »Das Testfeld Mexiko steht einmal mehr für die voraussehbare Nichteinhaltung unterzeichneter Endverbleibserklärungen - mit tödlichen Folgen.« erklärt Grässlin. Er spricht von einer »Triade des Todes«, bestehend aus Wirtschaftsministerium, Ausfuhramt und Rüstungskonzern.
Wolfgang Kaleck, der deutsche Anwalt von Whistleblower Edward Snowden, sieht in den Ermittlungen einen Beleg, dass deutsche Staatsanwaltschaften sich einfacher täten, »politisch missliebige Journalisten denn ehrwürdige Unternehmer, die Waffen verkaufen, anzugehen«. Obgleich die Weltkarte der Pressefreiheit, herausgegeben vom Netzwerk Reporter ohne Grenzen, Deutschland ein gutes Zeugnis ausstelle, sei auch der deutsche Staat »gegen den Virus der Repression gegen unliebsame Berichterstatter nicht immun«, schreibt Kaleck. Die Ermittlungen gegen die Blogger von netzpolitik.org, die Böhmermann-Affaire: Deutschland macht sich derzeit nicht gerade einen Namen als internationaler Vorkämpfer der Pressefreiheit.
Werden Grässlin und die anderen Journalisten verurteilt, droht ihnen eine einjährige Haftstrafe. Friedensvereine haben bereits eine Solidaritätskampagne gestartet und fordern, die Ermittlungen einzustellen. Anfang kommenden Jahres soll nach Grässlins Informationen auch das öffentliche Verfahren gegen die Mitarbeiter von Heckler & Koch beginnen. Sie werden beschuldigt, »gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande« illegale Waffenexporte organisiert zu haben. Unter den Beklagten sind zwei ehemalige Geschäftsführer, einer von ihnen Peter Beyerle. Der war vor seiner Heckler & Koch-Karriere Präsident des Rottweiler Landgerichts.
»Die Justiz hätte die Chance, die illegalen Exportpraktiken im Rüstungsexportbereich zu stoppen«, sagt Grässlin. Er nennt ein Positivbeispiel: Nach der Strafanzeige, die er mit Paul Russmann als Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!« gegen den Waffenprozenten SIG Sauer wegen illegaler Waffenexporte erstattete, verhängte die Kieler Staatsanwaltschaft einen sofortigen Ausfuhrstopp.
Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft zeichne sich dagegen durch »folgenschweres Verzögern und Verschleppen« aus, so Grässlin. »Denn die Schandtaten der BAFA und des BMWI sind somit verjährt.« Damit sende man »eine doppelte Botschaft aus: An die Rüstungskontrollbehörden: Schaut weiterhin weg bei illegalen Rüstungsexporten - Sie bleiben vor Strafverfolgung verschont!« Und eine Botschaft an Rüstungskonzerne: »Verlegen Sie ihren Firmensitz nach Baden-Württemberg, hier haben Sie nichts zu befürchten. Schlimmer kann der Rechtsstaat nicht versagen - denn die Folgen sind tödlich.«
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