Atomwirtschaft in der Bredouille
Energoatom ist zahlungsunfähig, Mitarbeiter fürchten um ihre Jobs
Die anhaltende Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staatskonzerns Energoatom, Betreiber aller dortigen Atomkraftwerke, stellt den reibungslosen Betrieb der AKW, die über die Hälfte des ukrainischen Stroms liefern, in Frage. Solange die Ukraine ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme, werde Russland die vertraglich zugesicherte Aufnahme ukrainischer Brennstäbe nicht mehr übernehmen, erklärte nun ein Sprecher des russischen Atomkonzerns Rosatom.
Sollte die russische Weigerung anhalten, muss sich die ukrainische Atomwirtschaft überlegen, wie sie ihren Müll entsorgen will. Im Land gibt es kein Atommülllager. Lediglich das AKW Saporoschje verfügt über eine werkseigene Deponie. Ende April hatte der ukrainische Umweltminister Ostap Semerak erklärt, die Ukraine werde den gesamten Nuklearzyklus selbst betreiben. Es sei nicht einzusehen, warum man Russland für die Abnahme der Brennstäbe weiter bezahlen solle.
In Zusammenarbeit mit der US- Firma Holtec ist nun der Bau eines Atommülllagers unweit des Städtchens Iwankow im Bezirk Kiew geplant. 2018 soll das hundert Kilometer nördlich von der Hauptstadt geplante Lager in Betrieb gehen. Doch der Widerstand wächst. Es sei nicht einzusehen, so der Umweltschützer Wladimir Borejko, warum ausgerechnet so nah bei Kiew gebaut werden solle: »In der Nähe von Paris, Washington oder Moskau baut man doch auch keine Atommülllager«, sagte Borejko dem ukrainischen Internetportal strana.ua.
Auch der Gemeinderat von Iwankow und der Kiewer Bezirksrat haben sich gegen das Projekt ausgesprochen. Stadträtin Olga Salij sagte gegenüber strana.ua, Protestschreiben seien nur mit einer Empfangsbestätigung beantwortet worden. Die Städte und Kommunen müssen sparen: »Erst kürzlich hat man 40 Betten im Stadtkrankenhaus weggekürzt«, so Salij. Für das Atommülllager sei dagegen Geld da. 87,5 Millionen Euro haben die Länder der G7 und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung laut strana.ua bereits zugesagt.
Auch die Angestellten der Atomwirtschaft sind beunruhigt. Über tausend forderten am Dienstag vor dem Sitz von Präsident Poroschenko in Kiew eine sofortige Reaktivierung der Konten von Energoatom. Hintergrund der Zahlungsunfähigkeit ist ein Rechtsstreit mit der Firma Ukrelektrowat. Energoatom war 2011 zu knapp fünf Millionen Euro Strafe verurteilt worden. Der Konzern erkennt diese Schulden aber nicht an.
Am 28. Januar hatte das Parlament noch versucht, mit einem Gesetz eine drohende Insolvenz abzuwenden. Nach dem Veto durch Poroschenko wurden Anfang März Konten und Gelder in Höhe von sieben Milliarden Euro eingefroren. Bei der Gewerkschaft versteht man nicht, wieso wegen einer Schuld von fünf Millionen Euro Konten in Höhe mehrerer Milliarden eingefroren werden.
Bei dem Konflikt geht es auch um einen Gesetzentwurf des Energieministeriums zur Neuregelung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Konzerns. Sollte er Gesetz werden, so fürchtet Alexej Lych, Sprecher der ukrainischen Atomgewerkschaft, dürfte Energoatom Schulden mit Anteilen begleichen. Dadurch könnte der Konzern staatlicher Kontrolle entzogen und Teilbereiche wie Reparaturleistungen ausgegliedert werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.