Selbstbedienungsladen Zentralbank

Gelder und Stiftungen des ungarischen Staatsinstitutes wurden offenbar massenhaft zweckentfremdet

  • Silviu Mihai, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.
Über 800 Millionen Euro wurden von der ungarischen Zentralbank in den vergangenen zwei Jahren wohl veruntreut - sie landeten bei Verwandten und Freunden der Politik.

Lange wollte György Matolcsy, Präsident der ungarischen Zentralbank MNB, die Liste der Ausgaben geheim halten. Schließlich handle es sich nicht um die Bilanz seines Institutes, sondern um die der sechs Stiftungen, die die Bank 2014 gründete. Durch den Kapitaltransfer hätten die Fonds »ihren Charakter der öffentlichen Gelder verloren«, argumentierte der Ex-Finanzminister zum Erstaunen regierungskritischer Journalisten. Doch dann setzte Ungarns oberster Gerichtshof der Geheimniskrämerei ein Ende: Es handle sich um öffentliches Geld; die Bestimmungen des Rechts auf Auskunft fänden Anwendung.

Noch konnten die vielen kurz darauf veröffentlichten Dokumente nicht vollständig unter die Lupe genommen werden und manche Aspekte sind unklar. Dennoch steckt Ungarn in einem der größten Korruptionsskandale der letzten Jahre. Mehr als 800 Millionen Euro wurden seit der Gründung der Stiftungen entweder für fragwürdige Zwecke ausgegeben, oder gar veruntreut. Offiziell sollten die Stiftungen die ökonomische Kultur und das Volkswirtschaftsstudium fördern. Sie tragen pompöse Namen wie Pallas Athene Domus Animae, und verwalten insgesamt fast eine Milliarde Euro aus Beständen der MNB.

Von Anfang an äußerten jedoch Medien und Opposition Zweifel an der merkwürdigen Konstruktion, nicht zuletzt weil Matolcsy als enger Vertrauter von Ministerpräsident Viktor Orbán gilt - und für seine »unorthodoxe« Wirtschaftspolitik bekannt ist. In der Tat häuften sich bereits 2015 Indizien dafür, dass die Stiftungen mit Zentralbankgeldern exklusive Immobilien erwerben und sanieren sowie in kommerzielle Projekte investieren, die wenig bis gar nichts mit der jeweiligen Satzung zu tun haben. So war die Rede von Hotels, Wellnesscentern oder Weinkellern. Doch angesichts der geheimen Bilanzen blieben Recherchen und parlamentarische Anfragen auf der Ebene der Spekulation.

Mit der Veröffentlichung kommen Fakten ans Licht - und sie sind für die Führung in Budapest äußerst problematisch. Ein Großteil der Gelder wurde für den Kauf ungarischer Staatsanleihen verwendet, was aus Sicht der Europäischen Zentralbank einer illegalen, weil direkten Finanzierung des Staatshaushalts gleichkommt. Ein Bericht der EZB hat den Sachverhalt bereits thematisiert und fordert eine Erklärung. Ein weiterer Teil des Geldes wurde für den Erwerb repräsentativer Immobilien in Budapest benutzt. Zu den Vertragspartnern der lukrativen Immobiliengeschäfte zählen mehrere Firmen, die Tamás Szemerey, einem Cousin Matolcsys, gehören.

Des Weiteren wurde mit über 1,5 Millionen Euro das private Onlinenachrichtenportal vs.hu finanziert. Die Herkunft der Gelder war offenbar selbst der Redaktion nicht bekannt: Der Chefredakteur und ein Dutzend Journalisten kündigten sofort und boten an, Gehälter zurückzuzahlen, um an der Zweckentfremdung öffentlicher Gelder nicht beteiligt zu sein. Der Geschäftsführer der Verlegergesellschaft, István Száraz, lehnte es bisher ab, die Angelegenheit zu kommentieren. Er gilt aber als Unterstützer der Fidesz-Partei Orbans. Ebenfalls ein Begünstigter der Stiftungsaufträge war Lörinc Mészáros, einer der besten Freunde des Premiers und gleichzeitig Bürgermeister von Orbans Heimatort Felcsút. Neben ihm profitierte eine ganze Reihe Geschäftsmänner von der Großzügigkeit der Zentralbankstiftungen. Die Liste liest sich wie ein Katalog der Günstlinge der Orbán-Regierung, die seit Jahren etliche öffentliche Ausschreibungen und Projekte aus EU-Geldern gewinnen.

Oppositionsvertreter fordern seit Wochen den Rücktritt des MNB-Präsidenten, sowie eine juristische Aufklärung der Affäre. Letzteres darf als Wunschdenken interpretiert werden: Die Ehefrau von Generalstaatsanwalt Péter Polt ist Aufsichtsratsvorsitzende einer der Stiftungen. Ein Rücktritt dagegen scheint möglich, auch wenn Matolcsy diesen Schritt von sich weist.

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