Die doppelte Emanzipation

In der Reihe »Jazz at Berlin Philharmonic« spielten Leszek Mozdzer, Iiro Rantala und Michael Wollny

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Die im Dezember 2012 aus der Taufe gehobene Reihe »Jazz at Berlin Philharmonic« ist die erfolgreiche Geschichte einer doppelten Emanzipation. Zum einen hat sich dieses Genre nach langer Pause wieder einen angemessenen Platz in einem der Tempel der »ernsten« Musik verschafft. Ferner steht die Reihe für die Eigenständigkeit des europäischen Jazz, der sich schon längst nicht mehr hauptsächlich auf die afro-amerikanischen Wurzeln dieser Musik bezieht. Beides ist eine Herzensangelegenheit von Siggi Loch, dem Gründer des renommierten Jazzlabels ACT, der diese Reihe kuratiert. Und es sollen keine »fertigen« Darbietungen sein, sondern Momentaufnahmen von Künstlern, die sich für dieses eine Konzert zusammenfinden.

Dafür stehen nahezu beispielhaft die drei Pianisten Leszek Możdżer, Iiro Rantala und Michael Wollny, die bereits das erste Konzert der Reihe bestritten hatten und am Dienstag im gut besuchten großen Saal der Philharmonie erneut gemeinsam auftraten. Ihren Status als »junge Wilde« haben sie längst hinter sich gelassen. Mit unzähligen Solo-, Duo, Trio- und Bandeinspielungen haben die drei unter Beweis gestellt, dass sie zu den innovativsten Köpfen der europäischen Jazzszene gehören. Davon zeugen auch die vielen Ehrungen und die Präsenz auf allen wichtigen Jazzfestivals.

Besonders Michael Wollny gehört zu jenen, die sich in atemberaubenden Tempo immer wieder neu erfinden. Tief verwurzelt in der deutschen Romantik, bewegt er sich gerne durch Fantasy-Klangwelten, oft unterlegt mit Clustern, die an serielle Musik erinnern. Seine Improvisationen sind derzeit von einer gewissen Abkehr von der gängigen Dur-Moll-Tonalität geprägt, weniger perkussiv als bei einigen früheren Auftritten, auf der stetigen Suche nach dem richtigen Verhältnis von Freiheit und formaler Strenge. Keine leichte, aber sehr spannende Kost. Sicher ist bei Wollny, dass er in einigen Monaten schon wieder ganz anders klingen wird.

Den straighteren Part übernahm diesmal der Finne Iiro Rantala, der eine Ouvertüre von Leonard Bernstein und ein Stück von John Lennon respektvoll auf ihren musikalischen Kern reduzierte, um sie im Verlauf mit immer neuen Variationen mit frischem Leben zu erfüllen. Sein Spiel ist trotz aller rhythmischen Schärfe und den für ihn typischen gehämmerten Blockakkorden wesentlich lyrischer geworden, auch seine »nordische Seite« kommt in der Ballade »Freedom« mit ihren ausladenden Moll-Kadenzen deutlich zur Geltung.

Leszek Możdżer gilt als einer der großen Grenzgänger zwischen Klassik und Jazz, gleichermaßen geprägt von Frederic Chopin und dem legendären polnischen Jazz- und Filmmusikkomponisten Krzysztof Komeda (u.a. »Rosemaries Baby« und »Tanz der Vampire«). Der meistens sehr introvertiert wirkende Pole spielte am Dienstag auf wie befreit und entführte das offenkundig faszinierte Publikum mit seinem perlenden, elegischen Spiel in wundersame Klangwelten voller Klarheit und Licht, aber auch Zweifel und Dunkelheit. Man hätte ihm stundenlang zuhören können.

Für den puren Spaßfaktor bei Musikern und Publikum sorgten dann die auf improvisierender Interaktion basierenden Duoauftritte. Allerdings wurden durch allerlei Tücher und Folien auf den Klaviersaiten erzeugte Klangeffekte etwas überstrapaziert und verkamen ein wenig zum Selbstzweck. Dafür sorgte in einigen Parts der »schmutzige« Sound eines E-Pianos für eine gewisse Erdung der Musik, die eben doch auch Wurzeln im Rhythm ’n’ Blues hat. Zum Abschluss ging es auch noch zu dritt zu Werke, mit einer launigen Dekonstruktion des Gershwin-Klassikers »Summertime« und einer leichtfüßigen Flamenco-Eskapade. Das Publikum dankte es mit stehen Ovationen.

Es war das nunmehr 13. Konzert der Reihe »Jazz at Berlin Philharmonic«. Weitere werden folgen. Jazz ist in der Philharmonie angekommen. Und das ist auch gut so.

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