Das »Was wäre« des Amtes
In einer rot-rot-grünen Gauck-Nachfolge läge nicht so sehr ein »Stück Machtwechsel« für 2017, sondern die Möglichkeit, dem »Lager der Solidarität« ein Gesicht zu geben. Ein Kommentar
Darf man eine Präsidenten-Nachfolge in den Dienst bündnispolitischer Überlegungen stellen, sie also von der eigentlichen Funktion abkoppeln? Die Frage wird hierzulande meist mit dem Hinweis auf die »Würde des Amtes« beantwortet – soll heißen: Unangenehme Fragen, etwa nach alternativen Mehrheiten, sollen bitte nicht die Aura des Staatsoberhauptes beschatten.
Dabei gibt es gerade jetzt gute Gründe, stattdessen das »Was wäre« des Amtes auf die politische Waagschale zu werfen: Was könnte eine Kandidatin (oder ein Kandidat) bewirken, die nicht die bestehenden parteipolitischen Machtblöcke repräsentiert, die etwas Ausdruck verschafft, das derzeit gerade kein öffentliches Gesicht hat: das viel beschworene »Lager der Solidarität«? Eine solche Personalie könnte sich als Vertreterin jener stillen Mehrheit betrachten, die gegen Rechtsruck und Anti-Asylkurs sind, gegen geistige Abschottung und Frustpolitik.
Linkenchef Bernd Riexinger hatte SPD und Grüne bereits aufgefordert, »eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Für das Amt des Staatsoberhauptes wollen wir eine Person, die soziale Gerechtigkeit, Weltoffenheit und Frieden glaubhaft verkörpert«. Auch andere Linkenpolitiker haben sich so geäußert. Alban Werner von der Sozialistischen Linken fände es »ideal«, wenn die SPD-Linke »einen guten Personalvorschlag in die Welt« setzen würde, der auch für die Linke und die Grünen »tragbar ist und in der Öffentlichkeit auf gute Resonanz stößt.« Auch SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer hat sich für einen rot-rot-grünen Kandidaten ausgesprochen – so wie andere Vertreter der SPD-Linken auch.
»Die SPD muss die Bundespräsidentenwahl 2017 nutzen, um ein politisches Zeichen der eigenen Gestaltungskraft gegen die Union zu setzen«, schreiben der Thüringer Kultusminister Benjamin Hoff und Alexander Fischer, der in der Landesvertretung Berlin des Freistaates arbeitet, in einem gemeinsamen Beitrag zur Debatte. »Dies wäre legitimatorischer Rückenwind für einen SPD-Kanzlerkandidaten, der mehr sein will als Leiter eines sozialdemokratischen Himmelfahrtskommandos. Und es wäre inhaltlich ein Signal, das auch in der Partei gewünscht zu sein scheint.« Für die Linkspartei wiederum, so die Autoren, wäre ein gemeinsamer Kandidat eine Gelegenheit, »gestaltenden Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen«. Hoff und Fischer sehen die Entscheidung auch als Wahl »zwischen als Alleinstellungsmerkmale getarnter Selbstisolation« und »einer aktiven Rollen in der Bundespolitik«. Aus Gründen der Mehrheitsverhältnisse »müssten sich SPD, Grüne, Linke, Piraten und der SSW nur gemeinsam an einen Tisch setzen«, heißt es weiter - das klingt freilich einfacher als es am Ende sein dürfte.
Aber trotzdem: »Was wäre«, wenn? Zumindest dies: Die Diskussion über die Frage, ob es überhaupt noch realistische Alternativen zum Status quo gibt, hätte ein Gesicht. Dabei ginge es wahrlich nicht zuerst um eine rot-rot-grüne Option für den Herbst 2017. Sondern eher um die Personalisierung von Hoffnung. Vom politischen Betrieb ist etwas Vergleichbares schon lange nicht mehr ausgesandt worden. Die Abwendung der Vielen von der Demokratie hat auch damit etwas zu tun. Erfahrbar zu machen, dass sich die Dinge wirklich und im Interesse einer Mehrheit doch noch einmal ändern könnten – das ist das »Was wäre« des Amtes. Des Amtes einer Bewerbung, die einen wirklichen Unterschied macht.
Der Kommentar wurde nach Gaucks öffentlicher Erklärung aktualisiert.
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