»Für die klassischen Fans war es ein Schock«
Vor 18 Jahren sorgten deutsche Hooligans für die »Schande von Lens« - sie schlugen einen französischen Polizisten fast tot
Die Koordinierungsstelle der Fanprojekte betreibt auch in diesem Jahr wieder die »Fanbotschaft«, die deutschen Fans in Frankreich Tipps und Orientierungshilfen gibt. Sie hatten kein Interesse mitzufahren?
Als die Anfrage kam, habe ich mir das tatsächlich überlegt. Ich habe mich dann aber dagegen entschieden. Und wenn ich ehrlich bin, hat das auch damit zu tun, dass dann die Erinnerungen an Nivel wieder hochgekommen wären. Das wollte ich vermeiden.
Sie waren in Lens, als am 21. Juni 1998 deutsche Hooligans den Polizisten Daniel Nivel so schwer verletzten, dass er nur mit schweren Behinderungen überlebte.
Ja, ich war mit ein paar Kollegen von Fanprojekten aus anderen deutschen Städten in der Stadt. Wir waren damals mit einem Doppeldeckerbus unterwegs und haben Broschüren mit Infos über das Turnier und die Stadt Lens verteilt. Am Vorabend war noch alles ruhig, aber über Nacht kamen immer mehr deutsche Hooligans angereist. Da war den meisten von uns schon klar, dass das kein normaler Fußballtag werden würde. Es lag in der Luft, dass etwas passieren würde.
Sozialarbeiter Thomas Hafke (54) war dabei, als Hooligans 1998 Daniel Nivel fast totschlugen. Der Ex-Polizist ist am Sonntag im Stadion. Christoph Ruf sprach mit ihm
Warum ausgerechnet Lens?
Ich glaube, das lag daran, dass Lens so eine kleine Stadt ist, mit vielen Cafés und Kneipen rund um den Bahnhof. Und die Hooligans standen ja fast alle der rechten Szene nahe. Die Fahrt nach Lens stand dementsprechend unter dem Motto »Frankreich-Überfall«, die wollten eine Stadt regelrecht einnehmen und terrorisieren, in solch einer übersichtlichen Stadt geht das natürlich gut. Dementsprechend kamen dann auch diese widerlichen Gesänge
Widerliche Gesänge?
»Wir sind wieder einmarschiert« und ähnliches. Ich habe viele Freunde in Frankreich und würde das Land schon als zweite Heimat bezeichnen. Ich glaube, deswegen hat mich das alles doppelt mitgenommen.
Was passierte, nachdem die Hools mit ihren Provokationen angefangen hatten?
Sie suchten jetzt ganz offensichtlich Streit. Und da der damalige Gegner, Jugoslawien, keine Hooligans dabeihatte, nahm man sich die Polizei vor. Als Biergläser und Stühle geworfen wurden, musste die Polizei einschreiten. Dann ging es los.
Und irgendwann lag Daniel Nivel mit schweren Kopfverletzungen in einer Seitenstraße.
Er hatte sich offenbar von seiner Polizeieinheit abtrennen lassen, als Einzelner war er für diese Leute ein willkommenes Opfer. Dann schlugen sie mit einem Verkehrsschild auf ihn ein und hörten auch nicht auf, als er ohne Helm reglos am Boden lag. Wir waren damals nur ein paar Straßenecken von der Romuald Provost entfernt, doch die Nachricht von den Ereignissen machte sehr schnell die Runde. Ich habe dann am nächsten Morgen beschlossen abzubrechen und bin zu Freunden in die Bretagne gefahren.
Sie sind in Frankreich geblieben?
Wie schon in Lens war ich auch da überrascht, wie gut die Franzosen differenziert haben: Die haben unterschieden zwischen Hooligans und den anderen Deutschen, da war keine Spur von Sippenhaft. Auch beim DFB gab es damals Überlegungen, sich vom Turnier zurückzuziehen. Meine Fanprojekt-Kollegen haben aber weitergemacht, und das war auch genau die richtige Entscheidung.
Wieso?
Beim nächsten deutschen Spiel in Montpellier hing ja dann diese große Fahne mit nur einem Wort drauf: »Pardon«. Für die klassischen Fans, die nichts mit Hooliganismus zu tun haben, war das ja auch ein Riesenschock. Es war klar: Ab diesem Tag wird nichts mehr so sein wie es war.
Haben das die Hooligans denn auch so gesehen?
Viele, die ich kenne, haben zumindest laut gesagt, dass das eine Scheiß-Aktion war, einige wenige, haben sich daraufhin auch zurückgezogen. Aber das ist keine Szene, die wirklich reflektieren würde, wie es sein kann, dass man zu solchen Dingen fähig ist.
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