»Gut gemacht, Jungs« - Russischer Politiker verteidigt Randale
Unser Newsblog zum Turnier +++ Tag 4 der Fußball-EM 2016 in Frankreich +++ Die Spiele heute: Spanien - Tschechien 1:0, Irland - Schweden 1:1, Belgien - Italien
Update 20.30 Uhr: Britische Innenministerin kritisiert französische Sicherheitskräfte
Die britische Innenministerin Theresa May hat die französischen Sicherheitskräfte wegen der Ausschreitungen beim EM-Spiel zwischen England und Russland kritisiert. Die französische Regierung sowie die Europäische Fußball-Union UEFA müssten sich die Frage stellen, wie es am vergangenen Samstag in Marseille zu den Angriffen russischer Fans auf britische Fans kommen konnte, sagte sie im britischen Unterhaus.
Nach wie vor lägen sieben Engländer in Krankenhäusern, zwei von ihnen mit schweren Verletzungen. »Die Gewalt um das Spiel England gegen Russland in Marseille war zutiefst Besorgnis erregend«, sagte May am Montag. Daraus müssten Schlussfolgerungen gezogen werden. Sie verwies aber auch auf Randale britischer Fans im Vorfeld des Spiels. »Wir müssen eben auch sicherstellen, dass wir unser eigenes Haus in Ordnung halten.« Die Innenministerin kündigte an, weitere britische Beamte zum Spiel zwischen England und Wales am Donnerstag nach Lens zu schicken.
Update 18.50 Uhr: »Gut gemacht, Jungs. Weiter so!« – Igor Lebedew verteidigt Ausschreitungen
Der russische Abgeordnete Igor Lebedew hat die Fanausschreitungen von Marseille verteidigt. »Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht Jungs. Weiter so!«, schrieb der Politiker der nationalistischen Liberaldemokraten am Montag im Kurznachrichtendienst Twitter. Er verstehe die Politiker und Funktionäre nicht, die die Fans kritisieren würden. »Wir sollten sie verteidigen und dann können wir es klären, wenn sie nach Hause kommen«, äußerte Lebedew weiter.
Bei den Krawallen in Marseille rund um die EM-Partie Russland gegen England (1:1) waren nach Angaben des Staatsanwalts von Marseille, Brice Robin, etwa 150 russische Hooligans beteiligt. Keiner konnte festgenommen werden. 35 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer, ein weiterer Mensch schwebte am Montag noch in Lebensgefahr.
Was in Marseille und anderen französischen Städten passiert sei, »ist nicht die Schuld der Fans, sondern die Unfähigkeit der Polizei, solche Events angemessen zu organisieren«, betonte Lebedew weiter. Die Hooligans hätten »die Ehre ihres Landes verteidigt und es den englischen Fans nicht gestattet, unser Land zu entweihen«, sagte Lebedew. »Wir sollten vergeben und unsere Fans verstehen.«
Update 17.10 Uhr: Grünen-Landesverband Rheinland-Pfalz geht auf Distanz zum eigenen Jugendverband
Nach der Forderung der Grünen Jugend Rheinland-Pfalz, bei der Fußball-EM auf Fahnen zu verzichten, geht der Grünen-Landesverband vorsichtig auf Distanz. »Wenn Fans die Nationalmannschaft unterstützen und dies mit Fahnen zum Ausdruck bringen, ist dies Ausdruck von Fankultur«, teilte Grünen-Landeschefin Katharina Binz am Montag auf Anfrage in Mainz mit. »Wenn Menschen die Mannschaft unterstützen und sich z.B. Fahnen auf die Wangen malen, ist das kein nationalistisches Verhalten.« Es sei allerdings richtig zu benennen, wenn es nationalistische Tendenzen in der Gesellschaft - auch im Fußball - gebe. Man könne die Forderung der Grünen Jugend kritisieren, aber Hasskommentare überschritten die Grenzen. Die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz war für ihre Forderung von Politikern anderer Parteien kritisiert worden.
Update 15.50 Uhr: Hitlergruß und Schüsse auf Schwarzen - »Partypatriotismus« in Kaltland
In Stuttgart ist es nach Angaben der Stuttgarter Zeitung zu einem offenbar rassistischen Angriff gekommen: Laut Polizeiangaben wollte in Stuttgart ein 21 Jahre alter, dunkelhäutiger Deutscher gegen 23 Uhr eine Fußgängerfurt überqueren, als aus ein dunkelblauer Kleinwagen herangefahren kam. Dessen Fahrer richtete durch das geöffnete Fenster plötzlich eine Waffe auf den 21-Jährigen und feuerte sie mit dem Ruf »Lauf, Schwarzer!« mehrmals ab. Im Auto saßen zwei Männer, die angeblich weiße Deutschlandtrikots trugen. Der Angegriffene flüchtete, die Polizei ermittelt.
Nach Berichten über Neonazis, die auf der Berliner Fußball-Fanmeile einen Hitlergruß gezeigt haben sollen, hat die Polizei Ermittlungen aufgenommen. Es gehe um die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, sagte am Montag ein Sprecher über den Vorfall vom Sonntagabend. Der für politisch motivierte Taten zuständige Staatsschutz der Kriminalpolizei gehe dem Fall nach. Vor dem Brandenburger Tor hatten am Sonntagabend mehr als zehntausend Fußballfans gefeiert.
Der Linke-Politiker Udo Wolf, Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisierte, die Polizei habe den verbotenen Hitlergruß unter den Fußballfans entweder ignoriert oder nicht mitbekommen. »Beides ist schlecht.« Wenn die Polizei erst nach Presseberichten und Anzeigen im Nachhinein Ermittlungen aufnehme, »zeugt das von einer mangelnden Sensibilität für die Gefahr durch rechte Straftäter«.
Update 14.50 Uhr. Faninstitut-Chef Lange: Teamausschluss »das Höchste für Hooligans«
Ein möglicher Ausschluss teilnehmender Teams von der Fußball-Europameisterschaft wegen Ausschreitungen seiner Fans wäre aus Expertensicht für die Hooligans der größte Erfolg. »Das ist ja gerade die Motivation der Hooligans. Das wäre der allergrößte Erfolg für die Hooligangruppen, wenn die sowas hinkriegen würden«, sagte der Würzburger Professor Harald Lange, Leiter des Instituts für Fankultur, am Montag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Nach den Krawallen in Marseille hatte das UEFA-Exekutivkomitee den Teams aus Russland und England mit dem EM-Aus gedroht, sollten ihre Fans nochmals so negativ in Erscheinung treten. »Ein Spielverbot wäre für diejenigen, die nur an Krawalle interessiert sind, natürlich das Höchste, was sie erreichen können. Dann fühlen sie sich bestätigt, wir haben Einfluss, wir können die Geschicke lenken und es kaputt machen«, betonte Lange. Der Sportwissenschaftler kann jedoch keine dauerhafte Gefahr für die Titelkämpfe erkennen.
Kein Business as usual bei der EM – Tag 4 in Frankreich
Drei Spiele am Sonntag, drei Favoritensiege – Business as usual bei der EM? Mitnichten. Beim Spiel brauchte der Weltmeister Deutschland gegen die Ukraine schon eine Weltklasseleistung von Manuel Neuer und eine spektakuläre Rettung auf der Linie von Lieblingsnachbar Jérome Boateng, um am Ende mit 2:0 zu gewinnen. Und auch außerhalb der Plätze herrscht Ausnahmezustand. In Marseille randalieren Hooligans über Nächte fast ungestört, deutsche Hools mit Verbindungen in die Neonaziszene tun es ihnen in Lille vor dem Spiel in Lille gegen die Ukraine gleich – inklusive Reichskriegsflaggen und »Wir sind wieder einmarschiert«-Gesängen. Sollen dagegen Alkoholverbote helfen? Oder die Polizei, die meist zu spät kommt und dann alle mit Tränengas beschießt oder Pfefferspray einnebelt, die noch nicht weggerannt sind (vielleicht, weil die gar nicht an den Ausschreitungen beteiligt waren?). Einer sich im desaströsen Zustand befindlichen UEFA fällt auch nicht viel mehr, als England und Russland mit dem Turnierausschluss zu drohen. Dabei hätte man das Problem, von dem viele so überrascht scheinen, schon kommen sehen. Warum die internationalen Hooliganszenen derzeit so stark und auch so vernetzt sind wie nie – eine Analyse von Ronny Blaschke.
Polizisten reanimieren ein Opfer von Hooligangewalt. Dieses Bild schien eins aus der Vergangenheit zu sein, als deutsche Fans 1998 in Lens fast einen Gendarm töteten. Nun ist es wieder da, und es gleicht dem von Marseille, wo ein englischer Fan um sein Leben ringt. Das hatten wir doch schon mal. Das hatten wir doch schon überwunden. Offenbar nicht. Ein Kommentar von Oliver Kern.
Natürlich ist es ärgerlich, dass man wieder über Hooligans sprechen muss. Auf russischer Seite über Leute, die selbst dann nicht aufhören, auf einen Menschen einzuschlagen, wenn dessen Gesicht schon kaum mehr Konturen aufweist. Auf deutscher Seite über Menschen, die es 2016 für angezeigt halten, mit T-Shirts durch die Gegend zu stapfen, auf denen »Frankreich-Feldzug« steht. Doch damit nicht genug der Neandertaler – ein Sonntagsschuss von Christoph Ruf.
Dass die Europameisterschaft die Pariser nicht in Hysterie versetzt, ist durchaus sympathisch. Wenn aber die Suche nach dem rollenden Ball auf irgendeinem Bildschirm zur Anstrengung wird, wünscht man sich doch etwas mehr Begeisterung im Land des Gastgebers – wie unser Reporter Alex Ludewig.
Schöne Jugend: Mal war unser Autor blutgrätschender Vorstopper, mal über die eigenen Beine stolpernder Mittelläufer, immer jedoch zuverlässig einsetzbar auf Positionen, die es im modernen Fußball gar nicht mehr gibt. Immer hat er sich über Cristiano Ronaldo geärgert - jetzt nicht mehr. »Kopfball« – die EM-Kolumme des nd-Feuilleton.
Wer spielt heute gegen wen und wer hat schon?
Titelverteidiger Spanien hat sich mit einem späten Siegtreffer bei der Europameisterschaft auf der großen Fußball-Bühne zurückgemeldet. Zwei Jahre nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Brasilien besiegte »La Roja« am Montag in Toulouse Außenseiter Tschechien mit 1:0 (0:0) und hat damit in der Gruppe D die Basis für das Erreichen der nächste Runde gelegt. Vor 33 000 Zuschauern im Stade Municipal erzielte Gerard Piqué (87.) den Treffer für die Spanier, die im 13. EM-Endrundenspiel unbesiegt blieben. Für die Tschechen geht es in der nächsten Partie gegen Kroatien schon um den Verbleib im Turnier.
Kein Fragezeichen steht hinter dem Einsatz von Superstar Zlatan Ibrahimovic, der seine Schweden gegen Irland auf den Platz führt. »Der größte Druck lastet auf meinen Schultern, und ich will den Druck so gut es geht vom Team nehmen«, sagte Ibrahimovic vor der Partie. Im Idealfall wird diese Endrunde für Ibrahimovic sogar zu einem Meilenstein: Denn wie auch Cristiano Ronaldo trennen ihn nur noch drei Treffer von Michel Platini, der mit neun Toren bester EM-Goalgetter ist.
Die große Fußball-Nation Italien macht sich ganz klein. Der viermalige Weltmeister sieht sich vor dem wegweisenden EM-Auftakt gegen Belgiens goldene Generation nur als Außenseiter. Der Gegner um Star Kevin De Bruyne, der erstmals seit 1984 wieder sportlich für eine EM qualifiziert ist, träumt dagegen vom Finale. »Sicherlich treffen wir auf einen der Favoriten«, sagte Italiens Nationaltrainer Antonio Conte vor der Partie am Montag um 21 Uhr in Lyon. »Es ist eine Mannschaft mit vielen jungen Talenten, die sich enorm weiterentwickelt hat.«
EM-Splitter
- Die UEFA hat die Auseinandersetzungen zwischen Fans aus Deutschland und der Ukraine am Sonntagabend in Lille »zur Kenntnis genommen«. Über eventuelle disziplinarische Maßnahmen konnten vorerst keine Angaben gemacht werden. Vor dem Spiel der DFB-Elf waren am Abend in Lille zwei Menschen leicht verletzt worden. Die Präfektur des Départements Nord hatte zunächst keine Informationen dazu, wer die Auseinandersetzungen provoziert hat. Die Polizei habe den Zusammenstoß aber schnell beendet, sagte eine Sprecherin.
Schwedens Nationaltrainer Erik Hamrén betreibt auch in Frankreich Nachwuchsarbeit. Der 58-Jährige schnappt sich nach dem Training im Parc des Sports Léo Lagrange von Saint-Nazaire schon mal die Ballkinder und übt mit ihnen Ball hoch halten. Die Kids sind dabei sichtlich stolz auf die Tricksereien mit dem bekannten Coach. Nach der kleinen Lehreinlage wird dann abgeklatscht.
Wer oder was fehlt?
Die Kinder, mit denen Erik Hamrén das Jonglieren übt, können sich glücklich schätzen – sind doch die Teams ansonsten ziemlich von der Öffentlichkeit abgeschottet. Um dem entgegenzuwirken, hat sich die UEFA eine Regel ausgedacht – jeder Verband musste nach der Ankunft im Ausrichterland Frankreich eine öffentliche Trainingseinheit abhalten. Eine von vielen Regeln. Sehr vielen Regeln. Inklusive der millimetergenauen Vorschrift zur Rasenhöhe bei Naturrasen (30 mm). Nur bei den Finanzen, da setzt der Verband eher auf das Prinzip »Kasse des Vertrauens«. Anders als beim Kuchenstand des örtlichen Amateurvereins lautet es aber nicht: »Wir vertrauen darauf, dass jeder seinen Anteil gibt, ist ja für die Jugend.« – bei FIFA und UEFA geht es eher nach dem Motto: »Wir lassen die Jugend auf dem Rasen (höchstens 30 mm hoch!) mal werbewirksam rennen, wir können darauf vertrauen, dass wir unseren Anteil kriegen.« Aber diejenigen, die den Kuchen backen, bekommen nicht mal mehr Krümel vom Kuchen, den sie selber backen, höchstens neue Backvorschriften (der Rasen darf höchstens 30 … na, sie wissen schon) – und nicht nur, aber auch deshalb, fehlt mittlerweile jedes Vertrauen in die Verbände. stf/mit Agenturen
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