Wie ein Superstar zur Last werden kann
Zlatan Ibrahimovic hemmt die Entwicklung der Schweden als Mannschaft
Spätestens um 19:27 Uhr war der Gedanke gestorben, vielleicht doch nicht über Zlatan Ibrahimovic zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt war der 1,94-Meter-Hüne am Montagabend auf dem Rasen des Stade de France ausnahmsweise mal nicht zu sehen. Neun andere schwedische Fußballer hatten eine Jubeltraube um ihren Kapitän gebildet. Dabei hatte Ibrahimovic nicht mal einen Treffer erzielt. Da der Ball aber nach seiner scharfen Hereingabe vom Iren Ciaran Clark ins eigene Tor befördert wurde, hatten die Schweden gar keinen Torschützen, den sie mit ähnlicher Dankbarkeit überhäufen hätten können.
Der Treffer war wichtig. Er rettete der schwedischen Mannschaft mit dem 1:1 gegen Irland zum EM-Auftakt in der äußerst schweren Gruppe E einen Punkt. Am wichtigsten aber ist Zlatan Ibrahimovic. Und das sieht nicht nur der 34-Jährige, der sich selbst wahlweise als Legende, König oder auch Gott bezeichnet, so. »Er ist größer als der Fußball selbst«, sagt beispielsweise sein Mitspieler Kim Källström. Und so wird es Ibrahimovic auch keiner aus der Mannschaft übel nehmen, dass er nach dem Spiel sagte: »Uns fehlt die Qualität.«
Für das Gefüge einer Gruppe, die nur gemeinsam Erfolg haben kann, ist solch eine Konstellation eigentlich nicht förderlich. Das bedeutet nicht, dass Ibrahimovic kein Teamplayer sein kann. In den vergangenen vier Jahren lief er 182 Mal für Paris St. Germain und erzielte dabei nicht nur sagenhafte 156 Tore, sondern lieferte auch mehr als 60 Torvorlagen. Für Schweden hat er in 113 Länderspielen schon 62 Mal getroffen, darunter waren viele entscheidende und wichtige Tore. Und im Spiel gegen die Iren war er sich auch für manchen Meter in der Defensivarbeit nicht zu schade. Zwei Mal klärte Ibrahimovic in höchster Not im eigenen Fünfmeterraum.
Eine Szene verdeutlicht aber die Schwierigkeit seiner Ausnahmestellung. Dass erste, was John Guidetti nach seinem schlechten Pass in der 62. Minute tat, war sich so lange gestenreich bei Ibrahimovic zu entschuldigen, bis dieser ihm mit einer einzigen großzügigen Geste vergeben hatte. Seinen Unmut über Unzulänglichkeiten seiner Mitspieler hat Ibrahimovic am Montagabend mehrmals auf dem Platz offen zum Ausdruck gebracht. Den Schutz des Trainers genießt er trotzdem vollumfänglich. Erik Hamrén hatte viel zu kritisieren an seiner Mannschaft. Auf die Ungefährlichkeit seines Torjägers angesprochen, sagte er nur: »Als Stürmer brauchst du Unterstützung.«
An einem Nationalhelden rüttelt man eben nicht. Seit 2007 ist er in Schweden ununterbrochen zum Fußballer des Jahres gewählt worden, ein Weltrekord. In Italien schaffte er es drei Mal. Unzählige Titel hat er bei seinen Klubs gewonnen. Seine 2011 veröffentlichte 2011 Autobiographie ist mit mehr als 700.000 Exemplaren eines der erfolgreichsten Bücher in Schweden. Es gibt Lieder über ihn und im schwedischen Duden findet sich seit Ende 2012 das Wort »att zlatanera« – »stark dominieren«. Am Montagabend war das gelbe Trikot mit der Nummer 10 das meist getragene auf den Tribünen des Stade de France. In der 21. Minute erhoben sich die schwedischen Fans von ihren Plätzen: Zlatan Ibrahimovic stand zur Ausführung eines Freistoßes bereit.
Der Kapitän mag recht haben: Dem schwedischen Team fehlt es an Qualität. Aber die große Stärke individuell schlecht besetzter Mannschaften ist die Geschlossenheit, der gemeinsame Kampf, der Teamgeist. Die Iren haben all das gezeigt und besser gespielt, sind verdient in Führung gegangen und hätten das Spiel auch aufgrund ihrer vielen Chancen gewinnen müssen.
Bei den Schweden heißt es aber etwas überspitzt formuliert: Alle für Einen. Zlatan Ibrahimovic sagt ja auch: »Ich bin Schweden.« Keine Frage, der Stürmer kann mit seiner oft spektakulären Spielweise Partien allein entscheiden. Ob das allerdings gegen die nächsten Gruppengegner Italien und Belgien reichen wird, ist fraglich. Wenn nicht, endet die Nationalmannschaftskarriere von Zlatan Ibrahimovic mit dem Vorrundenaus. Dazu sagt Kim Källström: »Es hat eine Ära vor Zlatan gegeben, und es wird eine Ära nach Zlatan geben.« Im Ende liegt für Schweden auch die Chance des Neuanfangs – als Mannschaft.
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