Viel Last für den Altmeister
Personalie zu Tomas Rosicky, vor dem zweiten Auftritt der Tschechen
Wie hoch seine Wertschätzung ist, wird am Geräuschpegel beim Aufwärmen deutlich: Wenn die tschechischen Nationalspieler die letzte Vorbereitungsphase mit den obligatorischen Spannstößen aus 16, 17 Metern abschließen, dann wartet der eigene Anhang nur darauf, dass ihr Liebling mit dem wehenden Haar trifft. Tomas Rosicky. Gelingt ihm ein Volltreffer gegen die Ersatztorhüter Tomas Koubek oder Tomas Vaclik, dann jubeln seine mitgereisten Verehrer. Und mitunter winkt der 35-Jährige ihnen auch kurz zu. So war es zuletzt im Stadium Municipal von Toulouse, und so wird es auch im Stade Geoffroy-Guichard in Saint Etienne sein, wenn Tschechien das zweite Gruppenspiel gegen Kroatien (Freitag 18 Uhr) bestreitet.
Auf dem Altmeister liegt die Hauptlast. Wohl und Wehe dieses Teams hängt immer noch an Rosicky, der auch auf der Zielgeraden seiner Karriere als stolzer Repräsentant eines knapp elf Millionen Einwohnern zählenden Landes wie ein Fixstern gesetzt ist. »Wenn ich von Journalisten die Fragen zur Startelf bekomme, sage ich immer: Ihr könnt Rosicky sicher notieren. Trotz seines Alters ist er ein fantastischer Mittelfeldspieler, wenn ich seine technischen Möglichkeiten sehe«, schwärmt Nationaltrainer Pavel Vrba.
Rosicky bestreitet in Frankreich seine vierte EM, und er weiß, dass dieses Ereignis viel mehr zählt als in manchem Nachbarstaat. Ständig sind in der Heimat die Highlights von vor vier bzw. zwei Jahrzehnten wieder gezeigt worden; das Finale 1976 mit dem legendären Elfmeter-Lupfer von Antonin Panenka; das Endspiel 1996 mit dem tragischen Fehlgriff von Torwart Petr Kouba. Lang, lang ist das her, und Vrba, 52, kann noch so oft betonen, »dass ich damals auch nur ein kleiner Junge war«: Die Erwartungen sind geblieben. Hat sich Tschechien nicht in einer Qualifikationsgruppe vor Island, Türkei und vor allem den Niederländern als Erster durchgesetzt?
»Trotzdem haben wir nicht so viele individuell gute Spieler wie Spanien und Deutschland«, beteuert Vrba. Aber er hat noch Rosicky, der jetzt gleichzeitig jüngster und ältester EM-Teilnehmer seines Landes ist. Womöglich ein Alleinstellungsmerkmal für die Ewigkeit. Der in Prag geborene Kicker kam einst als 20-Jähriger zu Borussia Dortmund; die Schwarz-Gelben hatten ihm damals im Winter 2000/2001 verpflichtet und zuerst zum Hallenmasters in der Westfalenhalle geschleppt. Alsbald gab man ihm den Beinamen »Schnitzel«, denn viele konnten nicht glauben, dass so ein zerbrechlich wirkender Bub wirklich im Stahlbad Bundesliga bestehen würde.
Anderthalb Jahre später war der BVB auch dank dieses filigranen Technikers deutscher Meister. 2006 wechselte er zum englischen Vorzeigeverein FC Arsenal, wo der »kleine Mozart« noch bis zum 30. Juni unter Vertrag steht. Dann endet – sehr zum Bedauern von Teamchef Arséne Wenger – die Ära bei den Gunners. Den Abnutzungskampf auf der Insel macht der Körper dieses Profis nicht mehr mit. Gerade die vergangene Saison untermauerte die Erkenntnis: Rosicky fiel erst wegen einer Knieoperation, dann nach einer Oberschenkelverletzung fast fortlaufend aus. Am Ende kam der Mitspieler von Mesut Özil und Per Mertesacker auf keinen Premier-League-Einsatz, sein Zutun beschränkte sich auf eine Einwechslung im FA Cup am 30. Januar. »Es war das schwierigste Jahr für mich«, räumte Rosicky ein, »es ist nicht schön, wenn man nicht helfen kann.«
In seinen 104 Länderspielen (23 Tore) – das erste im Februar 2000 gegen Irland – hat er bis zuletzt noch bewiesen, dass er den Unterschied ausmachen kann. Nur: Nach dem verlorenen EM-Auftakt gegen Spanien (0:1) konnte auch der Kapitän nur dasselbe konstatieren wie sein laufstarker Mitstreiter Vladimir Darida von Hertha BSC: »Wir müssen versuchen, dass wir jetzt mehr offensive Akzente setzen.« Bisweilen war nämlich auch die Nummer zehn nur damit beschäftigt, den Ball aus der eigenen Gefahrenzone zu bolzen. Irgendwie konnte das nicht gutgehen. »Die Qualität der Spanier hat sich durchgesetzt, aber wir können auf dieser Leistung aufbauen. Wir müssen gegen Kroatien die freien Räume besser nutzten«, richtete der Regisseur danach routiniert aus. Wohl wissend, dass seine Mannschaft schon an der Weggabelung steht.
Den Doppelpass mit den Medien, dem sich der Virtuose ja anfangs gerne entzog, beherrscht er inzwischen. Vor dem Turnierstart meisterte er souverän die internationale Fragerunde, und als die unweigerliche Frage auf sein Alter kam – in Zeiten, in den so manch jüngerer Bundesliga-Kollege bereits als Fernsehexperte arbeitet – feixte er sich förmlich einen. »Ich liebe den Fußball. Und so lange es Spaß macht, möchte ich spielen. Es ist keine Frage des Alters, sondern des Gefühls.« Diese EM-Teilnahme war ein Antrieb, noch einmal alles für die Gesundheit und den Körper zu tun. Bei einem Turnier kann ein besonderer Moment ja schon genügen. Wenn etwa ein umjubelter Volltreffer nicht nur beim Einschießen gelingt.
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