Sommerloch
Sieben Tage, sieben Nächte: Gabriele Oertel über die Regierung - und wie die Kanzlerin ihre Koalitionspartner zerlegt
Auch in diesem Jahr können wir Journalisten nicht auf das jahrzehntelang als gesetzt geltende Sommerloch hoffen. Die Zeiten, da die Redaktionen nur auf die putzigen wie abwegigen Wortmeldungen von Hinterbänklern und Stallwachen in den Parteien und Bundestagsfraktionen warten mussten, um ihr Futter für die mediale Überbrückung der nicht eben knapp bemessenen Urlaubszeit der Politiker zu bekommen, sind endgültig vorbei.
Aber was ist auch ein einziges Sommerloch gegen die üppige Lochstickerei, die die Bundesregierung in diesem Jahr vor der parlamentarischen Pause kunstvoll ausbreitet. Die groß angekündigte Wohnungsbauoffensive? Union und SPD liegen im Dauerstreit über die steuerliche Förderung für Investoren. Eine vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Erbschaftsteuerreform? Wurde am Donnerstag erneut vertagt, weil SPD und CSU noch an Formulierungen feilen müssen. Die Abstimmung über die angeblich sicheren Herkunftsstaaten Marokko, Tunesien und Algerien im Bundesrat? Am Freitag von der Tagesordnung verschwunden, weil die Grünen in einigen von ihnen mitregierten Bundesländern sich quer stellen. Gute Bilanzen sehen anders aus. Sicher, bis zum 8. Juli - dem Ende der letzten Sitzungswoche vor der Funkstille bis zum 5. September - können die Kanzlerin und ihre Emissäre noch einiges hinbekommen. Im Schmieden fragwürdiger Kompromisse haben sie mit den Jahren allerhand Erfahrung. Aber inzwischen auch einen zeitlichen Druck.
Denn Tatsache ist: Der Wahlkampf wirft seine Schatten voraus und die Parteien stecken schon emsig ihr Terrain ab. Die Union ist hoffnungslos zerstritten, die Große Koalition gänzlich verschlissen. Und Teile der Grünen haben der Kanzlerin gerade klar gemacht, dass sie für ein derzeit rechnerisch noch nicht ganz mögliches, aber dennoch nicht völlig auszuschließendes schwarz-grünes Regierungsbündnis nicht für nass zu haben sein werden.
Eine vermutlich temporär befristete Kampfansage, aber immerhin. Und endlich eine neue Herausforderung für Angela Merkel. Die Parteien, die sich in den letzten elf Jahren mit ihr eingelassen haben, hat sie bislang noch immer geschafft. Die FDP flog nach der schwarz-gelben Regierungszeit aus dem Bundestag, die SPD ist nach zwei Großen Koalitionen nur noch ein Schatten ihrer selbst. Warum sollte die Langzeitkanzlerin nicht auch noch die Grünen zerlegen wollen, während Sozial- und Freidemokraten am Wegesrand liegen. Ausgezuzelt wie die bayerischen Würstchen, die von der Kanzlerin ganz nebenbei tüchtig angefressen worden sind.
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