Der Möchtegern-Ronaldo
Österreichs Marko Arnautovic ist kein Schnösel mehr, bei der EM bleibt er beinahe zu blass
Nein, sein Mund wird sich kaum bewegen. Marko Arnautovic gehört im Nationalteam Österreichs zu denjenigen, die die Bundeshymne nicht mitsingen. »Volk begnadet für das Schöne, vielgerühmtes Österreich« - diese Passagen gibt zum zweiten EM-Gruppenspiel Österreichs gegen Portugal (Samstag, 21 Uhr) die altbekannte Garde um Julian Baumgartlinger, Christian Fuchs oder Sebastian Prödl zum Besten. Auch in der Alpenrepublik wird immer wieder leidenschaftlich debattiert, warum die Spieler mit Migrationshintergrund - der in Wien geborene Arnautovic hat einen serbischen Vater - nicht in den Chor einstimmen, aber im Moment bestehen wirklich andere Sorgen.
Soll Cristiano Ronaldo doch voller Pathos die Hymne Portugals herausschreien, wenn Arnautovic später ein Tor erzielt, ist das nach der Pleite gegen Ungarn (0:2) allemal wichtiger. Zum EM-Auftakt war da nämlich nur ein Möchtegern-Ronaldo unterwegs.
Ungeachtet dessen, dass Werbewert und Bekanntheit, Klasse und Torquote unweigerlich für das Original sprechen: Der Quervergleich ist vor der Partie in Paris unvermeidlich. Beide tragen die Nummer sieben, beide kommen über die linke Außenbahn - und beide pflegen den Hang zur Extravaganz. Bei »Arnie«, wie ihn die Heimat nennt, markieren ein ulkiger Zopf oder verschiedenfarbige Schuhe die Eigenwilligkeit. Und manch Pose verrät: Noch immer pflegt diese Figur eine gewisse Schnöseligkeit. Dieses Image aber möchte Arnautovic eigentlich mit der EM abstreifen - dazu hat der Außenstürmer eine gute, aber vielleicht schon vorletzte Gelegenheit.
»Wir haben noch zwei Spiele, und es ist alles noch offen. Ob da jetzt Portugal kommt oder ob es Island ist, darf keine Rolle spielen«, hat Teamchef Marcel Koller angemahnt und dazu angefügt: »Die Spieler müssen schauen, dass sie ihre Leistung individuell bringen und dass wir als Team eine kompakte Einheit bilden.« Beides ist seinem besten Offensivspieler vergangenen Dienstag ganz und gar nicht gelungen. Bezeichnend, wie Arnautovic erst wunderschön mit der Ferse Zlatko Junuzovic den Ball in den Lauf legte, um kurz darauf doch ins Nirgendwo zu passen. Nie knüpfte er an seine formvollendeten Vorstellungen in der Qualifikation an.
Im Grunde erlitt der 27-jährige Arnautovic einen Rückfall in überwunden geglaubte Bundesligazeiten, als das »größte Talent des österreichischen Fußballs« (Andreas Herzog) beim SV Werder drei Spielzeiten lang mehr Wahnsinn als Genie darstellte. In Bremen waren sie nach zahllosen Eskapaden froh, ihr millionenteures Missverständnis im Spätsommer 2013 für einen Spottpreis an Stoke City abzustoßen.
Doch seit seinem Wechsel auf die Insel hat der einst Unbelehrbare eine Menge richtig und ziemlich wenig falsch gemacht. Beim Tabellenneunten trumpfte er vergangene Saison mit elf Toren so stark auf, dass es sich sein Bruder und Berater Danijel leisten kann, Stoke-Vereinschef Tony Scholes bei den Verhandlungen des nur noch bis 2017 laufenden Vertrags zappeln zu lassen. Eine Ausstiegsklausel ist bei 16 Millionen Euro klar definiert. »Ich kann nichts ausschließen. Aber ich will in England bleiben«, sagte Arnautovic zuletzt zu den Gerüchten, Everton oder sogar Chelsea kämen als neue Arbeitgeber infrage.
Die Wertsteigerung hat Arnautovic selbst bewirkt, weil er zur Einsicht gelangte, dass es so nicht weitergehen kann. Auch aus dem Nationalteam drohte nicht nur einmal der Rauswurf. Als er einen Wiener Polizisten mit den Worten beleidigte: »Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen«, plädierte Verbandspräsident Leo Windtner für die Suspendierung des Sorgenkinds. Koller gab ihm noch eine letzte Chance - und schaffte es, den Grenzgänger auf Spur zu bringen.
»Es war wichtig, ihn als Menschen kennenzulernen. Ich habe nicht auf die Stimmen gehört, was vorher passiert ist«, erklärte der Schweizer kürzlich. »Wir haben ein bisschen Geduld gebraucht, aber er hat jetzt Familie und Verantwortung, und die übernimmt er auch auf dem Platz.« Arnautovic selbst erläutert, dass ihn die Rolle als Vater zweier Töchter verändert habe. »Man bekommt eine andere Sicht auf das Leben, wenn man Kinder hat.« Der Geläuterte stieg sogar zum Aushängeschild auf: Eine Elektronikmarktkette spannte ihn für eine EM-Kampagne ein.
Vor einer Woche durfte Arnautovic zusammen mit David Alaba zudem aufs Pressepodium im Medienzentrum der Österreicher. In Mallemort kam eine überaus launige Runde zustande, in der über Musik, Tattoos und Frisuren geplaudert wurde. Natürlich ging es auch um Fußball, und Arnautovic beteuerte: »Wir sind auf einer herausragenden Bühne. Champions League, Europameisterschaft, Weltmeisterschaft. Die Welt schaut auf uns. Deshalb wollen wir hier viel erreichen.« Jetzt müssen solchen Worten noch Taten folgen. Nicht beim Singen, sondern beim Spielen.
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