Der Clash der Fankulturen
Rechte Fangruppen aus Ost- und Mitteleuropa prägen die EM bisher. Vom Begegnungscharakter eines Fußballturniers bleibt da nichts mehr übrig, meint Stephan Fischer
Am Dienstagnachmittag des längsten Tages des Jahres: In Paris machen sich nordirische und deutsche Fans auf den Weg ins Stadion. Im Vorfeld wurde das zwar etwas martialisch »Fanmarsch« genannt – es gleicht nach den ersten Bildern aber eher einem ausgelassenen gemeinsamen Spaziergang.
Ein paar Hundert Kilometer südlich, zur gleichen Zeit in Marseille: Hier findet ein wirklicher Marsch statt. An der Spitze der mehreren Tausend polnischen Fans wird ein Frontbanner getragen, das über die gesamte Straßenbreite reicht. In roter Schrift auf weißem Grund verkündet es, dass hier die »Defenders of the european culture« marschieren – die polnischen Fans, die es gemalt haben, sehen sich also als »Verteidiger der europäischen Kultur« auf ihrem Weg ins Stadion zum Spiel gegen die Nachbarn aus der Ukraine.
Die EM 2016 zeichnet neben vielen Bildern auch das eines »Clashs der Fankulturen«: Lange Zeit galten Spiele der Nationalmannschaften für die meisten aktiven Fans der Fanszenen von Vereinen als langweilig: Zu wenig Stimmung, zu kommerziell, zu sehr aufs zahlungsfreudigere Familienpublikum abgestimmt. Vor allem viele westeuropäische Ultras verweigerten sich den Wettbewerben fast komplett, zumindest entstand nie ein ultratypischer Support bei Spielen der Nationalmannschaften. Es mischten zwar immer wieder Hooligans mit, die für diese Spiele ihre Vereinsrivalitäten aufhoben, aber das hatte mit der Ultra-Sphäre wenig bis gar nichts zu tun.
Im Falle der polnischen Nationalmannschaft, aber auch der ungarischen oder kroatischen, ist das komplett anders: Die Trennung zwischen Ultra und Hooligan gibt es in den jeweiligen Vereinsfanszenen de facto nicht. Und so martialisch, wie sie in den Heimstadien mit durchaus imposanten Choreos oder Pyroshows auftreten, so reisen sie jetzt nach Frankreich: Vereinsrivalitäten werden auch hier zeitweise über Bord geworfen, ansonsten wird das gleiche, mit der Ultrakultur entlehnten Elementen, Programm wie im Vereinsfußball, durchgezogen: Fanmarsch mit reichlich Pyrotechnik, die wird dann auch gerne im Stadion abgefackelt. Die feiernden, absolut friedlichen, isländischen Fans scheinen dagegen von einem anderen Planeten zu stammen.
Ein zwar hyperdurchkommerzialisiertes, aber noch irgendwie auf Begegnung angelegtes europäisches Fußballfest – diese EM hatte nie eine Chance, das zu werden. Denn zur erwähnten »Fankultur« kommt der extreme Nationalismus und auch Rassismus, der dann zum erwähnten polnischen Banner führt. Es hat keinen Fußballbezug – es ist gerade im multikulturell geprägten Marseille eine Kampfansage: An den Multikulturalismus der Stadt, an ein imaginiertes, durch »Genderismus und Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen verweichlichtes« Westeuropa. Hinter der auch reale Gewaltandrohung steht.
Falls es ihn je gab – mit »Partypatriotismus« hat das nicht im Geringsten mehr zu tun, das ist auf die Straßen und in die Stadien Frankreichs getragener, gewaltbereiter, Nationalismus. Egal, ob von polnischen, russischen, kroatischen oder ungarischen Fans – die rechte Hegemonie in vielen mittel- und osteuropäischen Kurven hat in Geist und Ausdruck diese EM jetzt schon geprägt wie kein großes Turnier zuvor. Für viele noch ein Grund neben vielen anderen guten, sich von dieser Form des »Wettbewerbs« mit Schauder abzuwenden.
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