Es wird kein Spaziergang
Das 1:0 gegen die Nordiren beschert den deutschen Fußballern den Gruppensieg und ein hartes EM-Restprogramm
Die Fußballer aus Nordirland und Deutschland hatten den Innenraum des Prinzenpark-Stadions längst verlassen. Und während auch die deutschen Fans nach dem 1:0-Erfolg zufrieden auf dem Heimweg waren, hatten die nordirischen Anhänger überhaupt keine Lust, das Stadion zu räumen. Zu Tausenden tanzten sie an der Stätte des EM-Finales von 1984 zur heimlichen Hymne der EM 2016: »Will Grigg’s on fire«. Auf die Melodie des Songs »Freed from Desire« von der italienischen Sängerin Gala gehen die Nordiren seit Wochen richtig ab. Ein Fan hat es für den Stürmer mit der Nummer 9 umgedichtet: »Will Grigg ist heiß!« oder »Will Grigg will’s wissen!« sind mögliche Übersetzungen.
Mit 25 Toren hatte Grigg dem englischen Drittligisten Wigan Athletic zum Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse verholfen. Ein Wigan-Fan stellte ein Video von einer Party, bei dem das Lied gesungen wurde, ins Netz. Nun ist es nicht mehr aufzuhalten. Grigg spielte noch keine Minute bei diesem Turnier, auch gegen Deutschland saß er auf der Bank. Doch der Song lässt auch die Fans anderer Nationen mitsingen.
Selbst gegnerische Spieler sind begeistert. »Fantastic support last night! Also all fans from Northern Ireland created an amazing atmosphere«, twitterte Bastian Schweinsteiger. Der deutsche Kapitän lobte die fantastische Unterstützung im Prinzenpark, für die auch die nordirischen Anhänger gesorgt hatten. Dass ihre Mannschaft das Turnier nicht gewinnen wird, ist den Nordiren egal. Sie feiern sich selbst: Ohne Nationalismus, ohne Aggressionen, ohne tierischen Ernst.
Auch die deutschen Fans machten in Paris Betrieb, gingen aber stimmungstechnisch ein bisschen unter. Auf dem Platz war es indes genau anders herum. Der deutsche 1:0-Erfolg, den der erstmals in die Startelf gerückten Mario Gomez nach 30 Minuten gesichert hatte, fiel angesichts des Chancenübergewichts viel zu niedrig aus. »Es war spielerisch gut, aber es hätte souveräner sein müssen. Wenn man in der K.o.-Runde einmal nur wenige Chancen bekommt, dann muss man die alle auch verwerten«, über Bundestrainer Joachim Löw Kritik an seiner Elf.
So richtig konnte Deutschland in der Vorrundengruppe C nicht überzeugen. Gegen die Ukraine (2:0), Polen (0:0) und jetzt gegen die Nordiren offenbarte der Weltmeister Steigerungspotenzial. »Aber wir sind Gruppenerster«, meinte Gomez.
Allerdings wird es für die DFB-Elf, bei der Joshua Kimmich ein erfolgreiches EM-Debüt gab, jetzt erst richtig schwierig. Am Sonntag im Achtelfinale von Lille trifft man vermutlich auf die Slowakei. (Die Entscheidung darüber, ob dieser Gruppendritte gegen die DFB-Elf aufläuft, fiel nach Redaktionsschluss.)
Sollten es die Slowaken werden, hat Trainer Löw es leicht mit der Motivation. Denn noch nicht einmal vor einem Monat verloren seine Kicker gegen diesen Gegner in der EM-Vorbereitung in einem Freundschaftsspiel. In Augsburg hatte es bei unwetterartigen Bedingungen eine 1:3-Pleite gegeben. Sollte es zu der Begegnung kommen, ginge Deutschland als klarer Favorit in die Partie.
Im Viertelfinale allerdings wartet im Erfolgsfall dann schon ein großer Gegner. Denn am 2. Juli in Bordeaux würde das DFB-Team auf den Sieger des Achtelfinals zwischen Italien und Titelverteidiger Spanien treffen. Beide Mannschaften liegen Deutschland nicht. Der Ausgang wäre völlig offen. Ein Ausscheiden im Viertelfinale wäre sicher eine große Enttäuschung, aber gegen diese Hochkaräter auch keine Überraschung.
Allerdings sind die als Turniermannschaft gefürchteten Deutschen trotz der noch nicht vollends befriedigenden Leistungen schon wesentlich schlechter als 2016 in solche internationalen Wettbewerbe gestartet. Wichtig wäre allerdings, dass Jerome Boateng schon im Achtelfinale wieder für Deutschland auflaufen kann. Der Kopf der deutschen Abwehrreihe hatte sich gegen Nordirland wegen Wadenproblemen vorsichtshalber vorzeitig auswechseln lassen.
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