Wie Harry Potter ein zweites Brexit-Referendum forderte

Rund 77.000 Unterschriften für ein zweite Abstimmung gefälscht / Plattform des britischen Unterhauses überprüft Identität der Unterstützer offenbar kaum

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Erst waren es eine, dann zwei, inzwischen sind es mehr als 3,7 Millionen Briten, die nach dem Brexit-Votum am vergangenen Donnerstag eine zweite Abstimmung fordern. Eine dieser am Montagnachmittag exakt 3.720.504 Unterschriften gehört Harry Potter, auch bekannt als der berühmteste Zauberlehrling der Welt. Potter, der junge Brexit-Gegner. Dumm an der Geschichte ist nur: Zwar ist Harry tatsächlich ein waschechter Brite, allerdings nur ein Fiktiver, Protagonist einer Romanreihe der Schriftstellerin Joanne K. Rowling. Der Autor dieses Beitrages hat ihm mal eben mit wenigen Klicks zum Unterstützer eines sehr realen und eigentlich äußerst ernsthaften Anliegens gemacht.

Dass der Zauberlehrling dennoch ein zweites Referendum über einen möglichen Austritt des Königreichs aus der EU fordert, hat einen simplen Grund: Jeder kann auf der Website des britischen Parlamentes mit kaum nennenswerte Hindernisse offizielle Petitionen unterschreiben. Demokratischpolitisch klingt dies Möglichkeit im ersten Moment fortschrittlich, denn dadurch wird die Hemmschwelle der Teilhabe massiv gesenkt. Im Gegensatz zum Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags reicht bei den Briten die Eingabe eines Namens, die Mailadresse sowie Postleitzahl aus, um den Abgeordneten des Unterhauses seine Meinung kundzutun. Das deutsche Parlamentariertum ist da deutlich fordernder: Um überhaupt an einer digitalen Petition teilnehmen zu können, muss vorab eine Registrierung mit umfangreichen Nutzerdaten erfolgen. Wer will, kann dafür sogar den »elektronischen Personalausweis« nutzen, vorausgesetzt, dass kleine Plastikkärtchen wurde dafür freigeschaltet. Klingt nicht nur komplizierter, sondern erhöht auch den Aufwand deutlich, eine eingereichte digitale Petition zu manipulieren.

Genau mit solchen Fälschungsvorwürfen muss sich das britische Unterhaus seit einigen Tagen beschäftigen: Wie die US-Website Heartstreat.com dokumentierte, sollen sogenannte Bots darauf programmiert worden sein, automatisiert die Petition mitzuzeichnen. Wer für die Attacke verantwortlich ist, sei bisher unklar, so eine Verantwortliche des Unterhauses. Inzwischen wurden aber bereits 77.000 besonders auffällige Unterschriften gelöscht, wie der zuständige Ausschuss via Twitter mitteilte. Allein 39.000 Unterstützer sollten am Sonntag angeblich vom Vatikan aus teilgenommen haben, wobei der Stadtstaat gerade einmal eine Einwohnerzahl von 800 Menschen ausweist. Mit 23.000 Bewohnern könnte Nordkorea zwar aufwarten, doch ob sich im gesamten Land innerhalb wenig Tage tausende Briten finden lassen, darf bezweifelt werden. Die Staatsbürgerschaft ist laut Petitionsplattform allerdings notwendig, wird aber ähnlich intensiv geprüft, wie die Abfrage auf mancher Pornowebsite, ob der Nutzer bereits volljährig ist. Ein Klick genügt und schon ist man eben 18 Jahre oder britischer Staatsbürger.

Im Unterhaus nimmt man die Manipulationsvorwürfe ernst. »Jeder, der dieser Petition gefälschte Stimmen hinzufügt, sollte wissen, dass er den Zweck der Petition untergräbt, den er zu unterstützen behauptet«, erklärte Helen Jones, die Vorsitzende des Ausschusses, gegenüber der BBC. Selbiges Medium war es übrigens (neben vielen anderen auch), die die immer neuen Meldungen über die regelrecht explodierenden Unterstützerzahlen unkritisch weiterverbreiteten. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt völlig unklar, wie viele der über 3,7 Millionen digitalen Unterschriften gefälscht sind. Montagmittag erklärte der Petitionsausschuss, die Prüfung werde länger als normal dauern. Richtig ist allerdings auch: Da das Brexit-Ja seit der Verkündung am Freitag nicht nur medial hohe Wellen schlug, könnte die große Mehrheit der Unterzeichner genauso echt sein. Wie dies konkret überprüft werde, wollte auch die Tagsschau wissen und bekam lediglich die Antwort, »man habe Indikatoren, um betrügerische E-Mails zu erkennen«. Ob und wie überprüft werde, dass die Unterzeichner tatsächlich Briten sind, wollte der Ausschuss nicht erklären.

Auf das weitere Verfahren haben die Unstimmigkeiten ohnehin nur geringen Einfluss: Das Unterhaus wird sich mit der Petition auseinandersetzen, sofern mindestens 100.000 »echte« Briten unterschrieben haben. Antragsteller ist übrigens kein Brexit-Gegner, sondern ein Befürworter: Schon vor mehr als einem Monat reichte der Brite William Oliver Healey sein Anliegen ein, wonach er ein zweites Brexit-Referendum forderte, dass im Gegensatz zum Ersten ein Mindestquorum für das siegreiche Lager vorsieht. Ein solches Votum schloss der noch amtierende Premierminister David Cameron allerdings längst aus. Da hilft wohl nicht einmal Harry Potters Zauberkraft.

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