1000 fast vergessene Apfelsorten
Initiative stemmt sich gegen den Niedergang der Obstbauversuchsanstalt Müncheberg
Knorrige Apfelbäume säumen die Straße zwischen Tempelberg und Gülsdorf (Oder-Spree). Es ist die älteste märkische Obstbaumallee. Laut Kerstin Hellmich von der Dörfergemeinschaft Steinhöfel wurden die ersten Bäume 1804 am Wegesrand gesetzt. »Sie beruhen auf Sämlingen von 1794 bis 1798«, sagt sie. »Die beiden ältesten Bäume sind tatsächlich 212 Jahre alt und immer noch sehr vital, ohne Virusbefall und Schorf.« Die Apfelsorte, die »rotgestreifte gelbe Schafsnase«, sei köstlich.
Kerstin Hellmich ist eine der Mitbegründerinnen der »Initiative zum Wiederaufbau der Obstbauversuchsanstalt Müncheberg«, die sich am Montag mit einem Konzeptionsentwurf in Frankfurt (Oder) vorstellte. Unter dem Motto »Das grüne Klassenzimmer« unterbreitet es ein strukturelles und inhaltliches Angebot, wie die bundesweit einzigartige Einrichtung zu erhalten wäre. »Die obstgenetischen Ressourcen gehören unstrittig zu dem nationalen kulturellen Erbe in Deutschland«, heißt es.
Hellmich weiß um den Wert der 1923 entstandenen Versuchsanstalt. Vor allem dem Fachwissen und der Erfahrung der Mitarbeiter der Einrichtung sei es zu danken, dass es die Tempelberger Obstbaumallee heute noch gibt. »Im Jahr 2007 hat der Orkan ›Kyrill‹ 85 Prozent der alten Bäume entwurzelt oder umgebrochen.« Die Müncheberger hätten die Schäden begrenzt, geschädigte Bäume erhalten, Verluste ergänzt, sagt sie. »Die Versuchsanstalt muss unbedingt erhalten werden, für die Menschen und für den Erhalt der Kulturlandschaft.«
Der rund 32 Hektar großen Sortengarten in Müncheberg birgt einen einmaligen Genpool alter Obstsorten: 1000 Apfelsorten, 100 Sorten Birnen, 50 Sorten Kirschen und 25 Aprikosensorten. Neben der Forschung gibt es Obstgärtnerkurse - 1000 Interessenten umfasst das Netzwerk der regelmäßigen Teilnehmer.
Aus Sicht von Sabine Niels, Grünen-Abgeordnete im Kreistag Oder-Spree, steht die Obstbauversuchsanstalt vor dem Aus. Die Wortführerin der Anfang Juni gegründeten Initiative sagte, dies sei kein Versehen. Sie wirft der Landesregierung vor, die Auflösung der Einrichtung zu betreiben. Dabei habe Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) immer wieder zugesagt, die Versuchsanstalt erhalten zu wollen. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Landesregierung an einem Erhalt der Obstgenetischen Ressourcen gar nicht interessiert ist.«
»Trotz klarer Aussage zum Erhalt der agrarischen Forschung im Koalitionsvertrag und eines einstimmigen Beschlusses des Landtages ist heute nicht einmal mehr ein Rumpf der Obstbauversuchsanstalt vorhanden. Forschung findet seit 2013 nicht mehr statt, weil es an Wissenschaftlern fehlt«, kritisiert auch Hellmich.
Niels zufolge sei das noch 2013 vom Agrarministerium zugesagte Jahresbudget von 250 000 Euro bis 2015 auf 80 000 geschrumpft. Seit 2016 sei gar kein eigener Haushaltstitel für die Anstalt eingeplant. Die Verträge der Mitarbeiter liefen schrittweise bis zum 15. Juli aus, der bisherige Leiter Hilmar Schwärzel sei in das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF) ingeriert worden. Ein von Minister Vogelsänger für das Frühjahr angekündigtes Konzept zum Fortbestand sei auf die Zeit nach den Parlamentsferien verschoben.
Ministeriumssprecher Achim Wersin bestätigte dem »nd«, dass nach Rückeingliederung in das LELF die Arbeitsverträge der Mitarbeiter ausliefen. »Die Aufgaben der Versuchsanstalt werden aber weitergeführt.« Auch Anita Beblek von der agrathaer GmbH, eine Ausgründung des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und von Herbst 2013 bis 2015 Trägerin der Versuchsanstalt, bestätigte, dass es bis Herbst Übergangsregelungen zur Sicherung der Betriebsabläufe gebe.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.