Großbritanniens Ausscheiden würde Afrika ausbremsen
Handel, Investitionen, Entwicklungshilfe: Im Süden fürchten Experten die Folgen des Referendums im Vereinigten Königreich
Südafrika gibt sich großzügig. »Sollte Großbritannien seine Produkte in die EU exportieren wollen und noch keine neuen Vereinbarungen mit der Union haben, können britische Firmen nach Südafrika kommen und sich hier etablieren«, bot der Handels- und Industrieminister der größten Volkswirtschaft im Süden Afrikas, Rob Davies, trocken an.
Dank der neuen EU-SADC Wirtschaftspartnerschaft hat Südafrika Zugang zu den EU-Märkten. »Es ist tatsächlich recht ironisch, dass Südafrika einen besseren Zugang zum EU-Markt haben könnte als Großbritannien«, amüsierte sich auch der südafrikanische »Daily Maverick«.
Brexit ist jetzt Wirklichkeit und Afrika muss sich mit den Folgen dieser Entscheidung auseinandersetzen. Zusätzlich zum verlangsamten chinesischen Markt und den niedrigen Rohstoffpreisen könnte sich ein britischer EU-Ausstieg sowohl auf den Handel als auch auf Investitionen und die Entwicklungshilfe auswirken. »Viel wird davon abhängen, wie schnell die Finanzmärkte zu einer gewissen Stabilität zurückfinden«, sagte Razia Khan, leitende Afrika-Expertin der Standard Chartered Bank, gegenüber Quartz Africa. Sie prognostiziert, dass viele Schwellen- und Grenzmärkte unter großen Druck geraten werden.
Am schlimmsten würde es dabei vermutlich Südafrika treffen. Das Land am Kap hat nämlich enge Finanzbeziehungen mit Großbritannien und bekommt jeden Schlag der Inselnation schmerzhaft zu spüren: Laut den Wirtschaftsanalytikern von UniCredit belaufen sich die Forderungen britischer Banken gegenüber südafrikanischen Unternehmen auf 178 Prozent der südafrikanischen Währungsrücklagen. Zudem ist Großbritannien Südafrikas viertwichtigster Exportpartner.
Das hat Folgen: Der Rand fiel bereits im Vorfeld der Brexit-Entscheidung und ist jetzt nach dem Pfund der große Verlierer der neuesten Währungsturbulenzen. Zudem machen große südafrikanische Firmen, die sowohl in London als auch an der Johannesburger Börse notiert sind, bereits jetzt Verluste.
Auch für Afrikas größte Wirtschaft Nigeria hätte der Brexit kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Die nigerianische Regierung versucht bereits seit Muhammadu Buharis Vereidigung als Präsident im Jahr 2015 das Land mit Hilfe von strengen Währungskontrollen und freien Ölpreisen vor der Rezession zu retten. Der bilaterale Handel zwischen Nigeria und dem Vereinigten Königreich wird derzeit auf etwa 8,3 Milliarden Dollar geschätzt und sollte bis 2020 Prognosen zufolge 20 Milliarden Dollar erreichen.
Im Falle eines Brexits müssten nun allerdings alle Vereinbarungen mit Großbritannien neu verhandelt werden. »Globale Risikovermeidung und niedrige Ölpreise bedeuten wahrscheinlich für Nigeria, dass sich neue Geschäfte nur langsam realisieren werden«, so Razia Khan. Das wiederum könne die normale Funktionstüchtigkeit des erst kürzlich liberalisierten Devisenmarktes verzögern - keine guten Nachrichten für die bereits jetzt in Schwierigkeiten steckende Ölwirtschaft.
Dabei stehen Südafrika und Nigeria nicht allein. Khan glaubt, dass auch andere afrikanische Länder weniger Zugang zu internationalen Kapitalmärkten haben werden und große Infrastrukturprojekte zunächst ins Hintertreffen geraten könnten. Auch Analytiker der Denkfabrik Brookings Institution machen sich Sorgen, wie sich das Engagement des Inselstaates künftig gestalten wird - mit der Welt im Allgemeinen und Afrika im Besonderen: »Die vielleicht größte Auswirkung des Brexits auf Afrika könnte das Ende der britischen Hinwendung nach außen sein - dem Interesse für und die Reaktionsschnelligkeit gegenüber globalen Entwicklungsproblemen.«
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