Ein bisschen mehr Minimum
Mindestlohnkommission schlägt erste Erhöhung vor
34 Cent. Das ist der Betrag, um den der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2017 erhöht wird. Drei Vertreter der neunköpfigen Mindestlohnkommission traten am Dienstag vor die Presse und stellten ihre Entscheidung und ihren ersten Bericht eineinhalb Jahre nach Einführung des Mindestlohnes vor.
Die Kommission hält sich an gesetzliche Vorgaben und ihre eigene Geschäftsordnung. «Sie orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung», heißt es im Bericht. Ziel der Kommission sei es, «zu prüfen, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden». Mit der Entscheidung, die gesetzliche Lohnuntergrenze auf 8,84 Euro brutto pro Stunde anzuheben, «haben wir eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung getroffen», sagte der Vorsitzende Jan Zilius. Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte: «Das Glas ist etwas voller als halb leer. Es gibt keine Verwerfungen am Arbeitsmarkt. Zwar hat es Preiserhöhungen gegeben, aber die wurden von den Verbrauchern akzeptiert.»
Neben der Festlegung der Mindestlohnhöhe, die dem Bundesarbeitsministerium als Empfehlung übermittelt wird, ist die Mindestlohnkommission zuständig für die ständige Beobachtung der Auswirkungen des Mindestlohnes. Ein Ergebnis, das schon vor einiger Zeit fest stand: Der Mindestlohn vernichtet keine Jobs. Es ließen sich noch keine belastbaren Aussagen über kausale Wirkungszusammenhänge treffen, sagte Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Stefan Körzell sagte dagegen: «Der Mindestlohn hat keinen Schaden angerichtet.»
Die Erhöhung sorgte auch für Kritik. So sagte Klaus Barthel, Bundestagsabgeordneter und Bundesvorsitzender des Arbeitnehmerflügels (AfA) der SPD: «Es wäre sinnvoll gewesen, den Mindestlohn über die Neun-Euro-Grenze zu heben. Positiv ist aber anzumerken, dass die Entscheidung einstimmig gefallen ist. Das macht deutlich, dass die Arbeitgeberseite den Mindestlohn akzeptiert hat und zu ihm steht.» Barthel forderte eine gesetzliche Klärung zur Anrechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den Mindestlohn. Dazu hatte das Bundesarbeitsgericht jüngst zugunsten eines Angestellten geurteilt. Jede Unklarheit im Gesetz «führt zu weiteren Umgehungsversuchen und Unsicherheit bei den Beschäftigten», so Barthel.
Linksfraktionsvize Klaus Ernst sagte: «Der Mindestlohn ist und bleibt ein Mangellohn. Die Erhöhung auf 8,84 Euro ist deutlich zu wenig.» Gerade in Städten und Ballungszentren hingen Beschäftigte weiter am Tropf des Staates, «weil sie trotz Vollzeitbeschäftigung aufstocken müssen». Brigitte Pothmer, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen im Bundestag, sprach von einer «akzeptablen Entscheidung», die aber «wenig überraschend» sei, weil sich die Kommission in ihrer Geschäftsordnung darauf festgelegt habe, die Tarifentwicklung nachzuvollziehen. «Allerdings darf die Kommission ihre Spielräume durch die ausschließliche Berücksichtigung der Tarifentwicklung nicht künstlich beschränken», sondern müsse auch die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung bei der Festlegung der Höhe im Blick haben.
Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, sprach auf nd-Anfrage von einer «vertretbaren Entscheidung. »Man hätte aber auch großzügiger sein und auf neun Euro erhöhen können, denn prognostizierte Schäden am Arbeitsmarkt sind nicht eingetreten - und würden auch bei neun Euro nicht eintreten.« Auf die Frage, ob der Mindestlohn nicht für ein auskömmliches Leben zu niedrig sei, sagte Horn: »Der Mindestlohn ist kein sozialpolitisches Instrument. Er ist dafür da, ein Ausfransen zu verhindern, wo es keine tarifvertragliche Absicherung gibt und dem Niedriglohn einen Riegel vorzuschieben.« Diese Funktion habe der Mindestlohn erfüllt. Sozialpolitisch seien andere Instrumente gefragt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.