Weltweite Trauer um Elie Wiesel

Wortkünstler, Gewissen der Welt, unermüdlicher Streiter gegen Hass: Politiker und Weggefährten gedenken des Friedensnobelpreisträgers und Holocaust-Überlebenden

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Berlin. Der Tod des Friedensnobelpreisträgers und Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel hat weltweit Trauer ausgelöst. Wiesel sei am Samstag im Alter von 87 Jahren in den USA gestorben, berichteten israelische Medien und die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Wiesels Sohn Elisha bestätigte den Tod seines Vaters, wie der US-Radiosender NPR meldete. Nach Informationen der »New York Times« starb der Schriftsteller in seinem Haus in Manhattan.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat den Tod von Elie Wiesel als großen Verlust nicht nur für die jüdische Welt bedauert. »Er gab den Opfern der Shoa eine Stimme, die weltweit gehört wurde«, sagte der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Würzburg am Sonntag.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, nannte den Verstorbenen einen »unbeirrbaren Kämpfer gegen Hass, Gewalt, Intoleranz und Unterdrückung«. Die frühere Zentralratspräsidentin würdigte dessen Werk als eine der »ergreifendsten Stimmen wider das Vergessen und das Wiederholen«.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu beschrieb den 87-Jährigen als »Wortkünstler«, der »mit seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit und seinen faszinierenden Büchern den Sieg des menschlichen Geistes über die Grausamkeit und das Böse verkörpert« habe. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin ehrte Wiesel als Kämpfer gegen jegliche Form von Hass. »Elie Wiesel verkörperte die Entschlossenheit des menschlichen Geistes, die dunkelsten Teufel zu bezwingen und allen Widrigkeiten zum Trotz zu überleben.«

US-Präsident Barack Obama würdigte Wiesel als »eine der großen moralischen Simmen unserer Zeit« und »Gewissen der Welt«. Wiesel sei nicht nur einer der prominentesten Holocaust-Überlebenden gewesen, hieß es in einer ungewöhnlich ausführlichen Erklärung des Präsidenten. »Er war ein lebendes Denkmal.« Auch Hillary und Bill Clinton äußerten sich »zutiefst traurig« über Wiesels Tod.

In einem Kondolenzschreiben an die Witwe Wiesels sprach Bundespräsident Joachim Gauck von einem großen Verlust. »Wir haben einen großartigen Menschen und außerordentlichen Gelehrten und Schriftsteller verloren«, schrieb Gauck in dem vom Bundespräsidialamt in der Nacht zum Sonntag verbreiteten Schreiben. Wiesel habe es verstanden, »als Zeitzeuge die Erinnerung an die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte wach zu halten und vor allem junge Menschen vor den Gefahren von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu warnen«. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte: »Mit Elie Wiesel geht nicht nur ein großer Autor, Philanthrop und Gelehrter von uns, sondern vor allem ein unermüdlicher Streiter gegen Hass, Intoleranz und Gewalt«.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte laut einer Mitteilung vom Sonntag: »Obwohl er seine ganze Familie in der Shoa verloren hatte und trotz allem, was er selbst erlitten hatte, stiftete er durch sein Wirken Frieden und Versöhnung. Er gab den Opfern der Shoa eine Stimme, die weltweit gehört wurde. Seine Werke werden bleiben und noch vielen weiteren Generationen vermitteln, warum wir die Erinnerung an die Shoa immer bewahren müssen.«

Oscar-Preisträger George Clooney rief nach Wiesels Tod dazu auf, den humanitären Kampf des Holocaust-Überlebenden fortzusetzen. Wiesel habe »unseren Schmerz, unsere Schuld und unsere Verantwortung« über Generationen hinweg auf seinen Schultern getragen, sagte Clooney. Nun sei es unsere Aufgabe, für die Entrechteten zu kämpfen und die Wahrheit zu sprechen. »Zur Erinnerung an Elie ist es das Mindeste, was wir tun können. Ruhe in Frieden mein Freund«, schrieb Clooney.

Das Internationale Auschwitz-Komitee bezeichnete den Auschwitz-Überlebenden als »Lehrer der Menschheit«. »Elie Wiesel war kein Weg zu weit und kein Anlass zu gering, Menschen über die Schrecken und Verbrechen von Auschwitz zu informieren«, sagte Christoph Heubner, der Vize-Exekutivpräsident der Überlebendenorganisation, in Oswiecim.

Der Friedensnobelpreisträger Schimon Peres erinnerte an Wiesel als Menschen, der sich stets gegen das Vergessen eingesetzt hat. »Wiesel hat seine Spuren in der Menschheit hinterlassen durch das Erhalten und Hochhalten des Vermächtnisses des Holocausts.« Auch der jüdische Weltkongress zeigte sich bestürzt über den Tod Wiesels. »Elie Wiesel war einer der großen jüdischen Lehrer und Denker der vergangenen 100 Jahre«, sagte Präsident Ronald S. Lauder in Brüssel.

Der Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, bezeichnete Wiesel als jemanden, der die Welt verändert habe. Der Leiter der Jewish Agency, die für Zuwanderung nach Israel zuständig ist, Nathan Scharanski, und seine Frau Avital teilten in der Nacht zu Sonntag mit: »Elie Wiesel war der gemeinsame moralische Kompass der jüdischen Menschen. (...) Wir werden ihn sehr vermissen.«

Der 1928 in Rumänien geborene Wiesel überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. Seine Eltern und seine jüngste Schwester waren von den Nationalsozialisten getötet worden. Über Jahrzehnte hinweg hatte sich der in New York lebende Schriftsteller (»Die Nacht«, »Jude heute«) für die Erinnerung an den Holocaust eingesetzt.

Nach 1945 kam Wiesel über Straßburg nach Paris. Dort studierte er an der Sorbonne Philosophie und Literatur und arbeitete später als Journalist. Zum Schreiben fand Wiesel durch die Begegnung mit dem französischen Dichter François Mauriac. 1956 wechselte er als UN-Berichterstatter nach New York. Später bekam er eine Professur für Literatur, Philosophie und Judaismus am New Yorker City College. 1986 erhielt Wiesel den Friedensnobelpreis. Agenturen/nd

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