Bouffiers Buhlen um »Brefugees«

Frankfurt am Main bringt sich als neuer Standort für bisher am Finanzplatz London angesiedelte EU-Behörden und Firmensitze ins Spiel

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Brexit-Votum macht sich Hessen Hoffnung auf die Ansiedlung von Institutionen und Investoren, die als sogenannte Brefugees von London aus einen neuen Standort auf dem Kontinent suchen.

Als Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein Vize Tarek Al-Wazir (Grüne) am vergangenen Montag in Wiesbaden Halbzeitbilanz ihrer Koalition feierten, überschattete die britische Brexit-Entscheidung den Termin. Dabei pries Bouffier Frankfurt am Main als neuen Standort für bisher am Finanzplatz London angesiedelte EU-Behörden und Firmensitze. Die hessische Bankenmetropole beherbergt bereits seit Jahren die Europäische Zentralbank (EZB).

Einen Tag später brach Bouffier nach Brüssel auf, wo er ranghohen EU-Repräsentanten und Lobbyisten sein Begehren näher bringen wollte. Dieser Brüsseler Blitztrip war indes kein überstürzter Abstecher, sondern dem Sommerfest der Hessischen Landesvertretung in der EU-Metropole geschuldet. Rund um diesen Anlass dürfte Bouffier kräftig für den Umzug der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) von der Themse an den Main geworben haben. Zu seinen Gesprächspartnern zählten dabei nach Angaben der Staatskanzlei auch Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. Vom Brexit profitieren zu wollen sei legitim, auch wenn man nicht als »Leichenfledderer« in Erscheinung treten wolle, so Bouffier.

Die 2011 eingerichtete EBA soll europäische Aufsichtsstandards für den Bankensektor entwickeln. Die seit 1993 bestehende EMA soll EU-weit die Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und deren Zulassung koordinieren. Das hessische Finanzplatzkabinett, dem neben Bouffier auch die Minister für Wirtschaft und Finanzen angehören, soll nach Angaben aus der Staatskanzlei am 11. Juli im Beisein von Repräsentanten der Bundesbank und namhafter Großbanken in Frankfurt zusammentreten. Im Buhlen um die Gunst der EU-Behörden und etlicher globaler Konzerne von Übersee, die nach einem Brexit einen neuen Standort als Sprungbrett in die EU-Märkte suchen dürften, haben Frankfurt und Hessen allerdings ernsthafte Konkurrenz.

So möchte der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) die EMA in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn ansiedeln. Hier sitzt bereits das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der BAH ist sich dabei der Rückendeckung durch die nordrhein-westfälische Landesregierung sicher. Sowohl Hessen als auch Nordrhein-Westfalen sind wichtige Pharmastandorte. Ansprüche auf Ansiedlung der BAH meldeten auch Schweden, Italien und Dänemark an.

Im Rennen um einen neuen EBA-Standort hat auch Frankreichs Präsident François Hollande Paris angepriesen. Dabei stellte er auch Steuersenkungen und eine Lockerung von Aufsichtsregelungen in Aussicht. Darüber hinaus sagte Hollande, er wollte Paris als Finanzplatz attraktiver machen. Aber auch Bayerns Staatsregierung möchte die EBA nach München locken. Markus Söder (CSU), Finanzminister im Freistaat, habe Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) darum gebeten, sich für den Umzug von der Themse an die Isar einzusetzen und damit »München als wichtigsten deutschen Finanzplatz nach Frankfurt am Main nachhaltig zu stärken«, berichtet die »Süddeutsche Zeitung«.

Nebenwirkung und Schattenseite des Ansiedlungswettlaufs: Im Ballungsgebiet Rhein-Main droht mit jeder weiteren Ansiedlung von Institutionen mit überwiegend zahlungskräftigen Mitarbeitern eine weitere Verknappung des erschwinglichen Wohnraums und die Verdrängung von Mietern mit kleinen und mittleren Einkommen durch Mieterhöhungen und Luxussanierungen. Darauf wiesen jetzt die hessischen Oppositionsparteien SPD und Grüne hin. Dieser Prozess ist bereits jetzt im Frankfurter Ostend rund um die neue EZB-Zentrale voll im Gange.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.