Der Sieger stand schon vorher fest

Während die UEFA satte Gewinne einfährt, bleibt Frankreich kaum etwas von der EM

Europas Fußballverband nimmt mit der EM 2,5 Milliarden Euro ein. Frankreich trägt die Kosten und profitiert wirtschaftlich weder während des Turniers noch in der Zeit nach der Europameisterschaft.

»Soldes« - jedes Geschäft wirbt gerade mit Rabatten. Im Gegensatz zu Deutschland, wo es jederzeit irgendwelche Sonderverkäufe gibt, herrscht auf Frankreichs Wühltischen aber noch Ordnung. Von Calais bis Marseille: Nur zwei Mal im Jahr sind Schlussverkäufe erlaubt, im Sommer und im Winter, jeweils zu festen Terminen. Zur Europameisterschaft wurde die Regel gebrochen, der Sommerschlussverkauf begann zwei Wochen vorher - während der Gruppenphase, als alle 24 Mannschaften noch im Turnier und dementsprechend viele Fans in Frankreich waren. Es ist ein Versuch, zumindest ein wenig von dieser EM zu profitieren.

Der Gewinner dieser Europameisterschaft stand schon vorher fest: die UEFA. Der europäische Fußballverband verbucht einen EM-Rekordumsatz von 2,5 Milliarden Euro. Diese Summe, die sich größtenteils aus dem Verkauf der Medien-, Sponsoring- und Lizenzrechte sowie den Ticketverkäufen zusammensetzt, hatte sich der Verband schon bei der Vergabe des Turniers im Mai 2010 als Ziel gesetzt. Dass sich die geplanten Einnahmen der UEFA nur geringfügig ändern, zeigt: Fast alle zusätzlich angefallenen Kosten trägt der Gastgeber.

»Es ist eine Geste der UEFA auf unser Bitten und dient dazu, die soziale Akzeptanz der Veranstaltung zu fördern«, formulierte Alain Juppé seinen Dank sehr zurückhaltend. Juppé ist Bürgermeister von Bordeaux und steht zugleich der Vereinigung der EM-Gastgeberstädte vor. Der europäische Verband hatte beschlossen, zusätzlich 20 Millionen Euro bereitzustellen. Die Europameisterschaft findet an zehn Orten statt. Das bedeutet zwei Millionen pro Stadt. Viel ist das nicht, wenn man bedenkt, dass in Frankreich für rund 1,8 Milliarden Euro die zehn EM-Stadien auf UEFA-Standard gebracht werden mussten und der europäische Verband unter anderem forderte, dass in jeder Stadt auch eine Fanzone für das öffentliche Schauen der Spiele errichtet werden muss.

Aber was sollte Alain Juppé machen. Nach dem Bitten um weitere Unterstützung folgten zähe Verhandlungen. Letztlich musste er sich mit dem Ergebnis zufrieden geben. Das war im Oktober 2014. Die Stimmung in Frankreich war nicht die beste: eine Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent, kaum Aussicht auf Besserung der Wirtschaftslage und immer wieder soziale Proteste.

Mehr Akzeptanz für das anstehende Großereignis hatte auch nicht der oft hervorgehobene Fakt gebracht, dass die UEFA erstmals bei einer Europameisterschaft Miete für die Nutzung der Stadien bezahlt. Denn diese eingerechnet, belaufen sich die Zuschüsse des Verbandes auf rund 50 Millionen Euro. Das sind 0,02 Prozent der Einnahmen.

Noch viel schwerer wiegt die Tatsache, dass die UEFA kaum Steuern zahlen muss, keine direkten sowie keine Lohn-, Körperschafts- und Einkommenssteuer. Nur über die Umsatzsteuer kommt der französische Staat an Geld. »Fakt ist: Ohne die Steuerbefreiung hätten wir die EM niemals bekommen«, gab Sportminister Patrick Kanner zu. Dieses Paket an Begünstigungen hatte der europäische Fußballverband zur Voraussetzung für den möglichen Gastgeber der EM 2106 gemacht. Vor zwei Jahren erließ die französische Regierung letztlich ein entsprechendes Gesetz.

»Die Europameisterschaft wird für die französische Wirtschaft und Beschäftigung gewinnträchtig sein«, versuchte Sportstaatssekretär Thierry Braillard vor dem Turnier Optimismus zu verbreiten - wider besseres Wissen. Braillard bezog sich auf eine Studie des Zentrums für Recht und Wirtschaft des Sports (CDES) in Limoges. Dass diese von der UEFA in Auftrag gegeben wurde, erwähnte er nicht. 180 Millionen Euro an Mehrwertsteuer sollen demnach in die Staatskasse fließen. Diese Summe reicht nicht mal annähernd, um die gestiegenen Sicherheitskosten während der EM zu decken: Mehr als 320 Millionen Euro musste Frankreich dafür bislang investieren.

Die rund 100 000 Arbeitsplätze, die vor und während des Turniers geschaffen wurden, gibt es nach der EM nicht mehr. Und einen gesamtwirtschaftlichen Effekt bezweifeln Experten zumindest in hoch entwickelten Ländern. »Die wirtschaftliche Auswirkung dieser Art Ereignis ist in der Regel recht begrenzt«, sagt der Sportökonom Bastien Drut und zieht einen Vergleich zur Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich: »Keine einzige Studie hat einen echten Effekt für die Wirtschaft nachgewiesen«. Selbst das immer wieder erwähnte Vorbild, die WM 2006 in Deutschland, macht da keine Ausnahme. Eine Untersuchung der Universität Hamburg kam zu dem Ergebnis, dass es keinen gesamtwirtschaftlichen Effekt gab.

Zusätzlich wirken die Probleme der französischen Gesellschaft sogar negativ auf die Konjunktur. Die landesweiten Streiks gegen die geplante Arbeitsmarktreform dürften das Wirtschaftswachstum laut Internationalem Wirtschaftsfonds um 0,2 Prozentpunkte bremsen. Das ist in etwa so viel, wie die Europameisterschaft an positivem Schub bringen sollte.

Thierry Braillard scheint seinen großen Optimismus anscheinend verloren zu haben. »Die Händler in den EM-Städten sind bislang zufrieden« wählte der Sportstaatssekretär in der vergangenen Woche sehr vorsichtige Worte. 2,5 Millionen Zuschauer haben die Spiele in den Stadien gesehen. Eine Million davon waren Franzosen, die, abgesehen von den Tickets, in den meisten Fällen nicht mehr Geld ausgeben als sonst auch.

Ob die ausländischen Besucher wirklich so viel konsumieren wie erhofft, darf schon angesichts des vergleichsweise sehr hohen Preisniveaus in Frankreich bezweifelt werden. Zudem haben sie schon im Vorfeld sehr viel Geld für Eintrittskarten und Unterbringung ausgegeben. In Lille stiegen die Hotelpreise während der EM beispielsweise um fast 400 Prozent. Der durchschnittliche Zimmerpreis betrug dort an Spieltagen 416 Euro.

Die EM bringt Frankreich nicht voran - und sie beeinflusst auch die Zeit danach nicht positiv. Als beliebtes Reiseland wird der Tourismus nicht weiter wachsen. Und in eine gewinnbringende Infrastruktur wurde erst gar nicht investiert.

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