Schuld sind immer die anderen

Warum die deutsche Nationalmannschaft nicht in Würde verlieren kann, wohl aber die Franzosen

Eine TGV-Fahrt von Marseille aus gen Norden. Der Zug ist gesteckt voll, gut die Hälfte der Fahrgäste besteht aus deutschen Fußballfans, die nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft nach Hause fahren. Natürlich wird das Gesehene rekapituliert, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt schon lange zurückliegt. Man hört viel Richtiges, viel Polemisches, viel Allzu-Einfaches, das einzelne Sündenböcke sucht – wie Fußballfans halt so reden, da sind deutsche nicht anders als schwedische oder portugiesische Maniacs.

Und dennoch schält sich spätestens Höhe Avignon ein Grundtenor heraus, der nur einen Schluss zulässt: den, dass es schwer ist, in Würde zu verlieren und somit aus einem Turnier auszuscheiden, das man gerne gewonnen hätte. Dass so etwas geht, haben die französischen Fans am Sonntag Abend gezeigt. Sie haben bei der Pokalübergabe an die Portugiesen geklatscht, obwohl es ihr eigenes Team war, das den Titel verdient gehabt hätte. Nicht die destruktiven Portugiesen.

Im Zug nach Deutschland herrscht ein anderer Geist. Hier findet man, es sei ein Problem, dass ein italienischer Schiedsrichter gepfiffen habe, weil der natürlich gegen das Team entscheide, das seine eigene Mannschaft rausgeschmissen habe. Dabei hatte der Mann keinen einzigen Fehler gemacht, nicht mal einen kleinen.

Ähnlich albern wie Volkes Stimme im schnellen Zug sind allerdings die Kommentatoren, die jede Art der Kritik am deutschen Fußball als populistisches Gerede abtun und so tun, als gebe es auf der Welt genau einen Menschen, der nie einen Fehler macht, Joachim Löw. Dabei kann man sich schon fragen, ob sein Kader nicht an manchen Stellen wenig ausbalanciert war. Kein Ersatz für Linksverteidiger Jonas Hector im Aufgebot, kein einziger gelernter Rechtsverteidiger und weit und breit niemand, dem man Joker-Qualitäten attestieren würde. Mario Götze, der in sehr fernen Zeiten einmal ein vielversprechendes Talent gewesen sein soll, hatte bei diesem Turnier irgendwie keine Lust mitzuspielen.

Doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass auch das DFB-Trainerteam nicht vor Reflexen wie im TGV gefeit ist. Dass sich Löw nach dem Aus im Halbfinale zu der Aussage »Wir haben Fußball gespielt, Frankreich hat gewonnen«, verstieg, war nicht nur eine inhaltliche Falschaussage. Es war auch in höchstem Maße respektlos. Und es deutet darauf hin, dass da jemand die Schuld bei anderen sucht.

Dabei wäre es höchste Zeit, mal in die Revision zu gehen und sich ein paar Fragen zu stellen: Warum bildet man offenbar landesweit keinen echten Strafraum-Stürmer mehr aus? Reicht als Gegenargument da wirklich, dass man nicht zu Hotte Hrubesch zurückwill, wenn es auch Girouds und Lewandowskis gibt, die durchaus Fußball spielen können und trotzdem das Tor treffen? Warum müssen ständig Spieler, die dafür erkennbar nicht ausgebildet sind, auf die defensiven Außenbahnen, weil auch hier der Nachwuchs fehlt, der in wesentlich kleineren Ländern wundersamerweise vorhanden ist. Und warum gibt es im deutschen Fußball kaum einen mehr, der mal ein Dribbling gewinnt? Hat man es etwa übertrieben mit der Konzentration auf One-touch-Fußball?

Zurück zum Heldenfußball vergangener Tage, zu Grätschen und ermauerten 1:0-Siegen wollen doch wirklich nur noch ehemalige Nationalspieler, die seither nicht viel dazugelernt haben. Doch auch wenn die grundsätzliche Richtung stimmt, die Löw vor rund zehn Jahren eingeschlagen hat, sollte man Kursabweichungen korrigieren. Es ist ja nicht gesagt, dass dann wirklich der Kompass kaputt ist.

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