Dann eben Produktivität
Alexander Ulrich über einen billigen Trick der EU-Kommission, das Lohnniveau nach unten zu drücken
Offenbar ist die EU völlig unfähig, auf die Warnschüsse aus Großbritannien angemessen zu reagieren. Zwar wird derzeit viel über eine Neugründung der EU geredet, über Demokratisierung und ein Europa, das näher an die Menschen rückt. Gleichzeitig aber tut die EU alles, um ihre Glaubwürdigkeit weiter zu untergraben: Beim Freihandelsabkommen CETA sollen die Parlamente durch vorläufige Anwendung ausgehebelt werden, die Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat wird trotz erheblicher Proteste verlängert, für Portugal wird die nächste Troika-Intervention vorbereitet. Nun greift die EU-Kommission auch noch bei den ungeliebten Wettbewerbsausschüssen zu billigen Taschenspielertricks, statt gewerkschaftlichen Widerspruch ernst zu nehmen.
Wettbewerbsausschüsse - worum ging es da noch mal? Laut Vorschlag der EU-Kommission vom Oktober 2015 soll in jedem Euro-Land ein Ausschuss gebildet werden, der die Lohnentwicklung beobachtet und analysiert, wie sie sich auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Auch damit zusammenhängende politische Maßnahmen sollten überwacht und bewertet werden. Von anderen nationalen Behörden sollen diese Ausschüsse unabhängig sein.
Hingegen will die EU-Kommission mit den Ausschüssen in stetigem Austausch sein und ihre jährlichen Berichte in die Analysen einfließen lassen, die dem Europäischen Semester und dem Verfahren gegen makroökonomische Ungleichgewichte zugrunde liegen. Dabei wiederum handelt es sich um zwei Verfahren, mit denen die Kommission den Euro-Ländern Jahr für Jahr neue Reformempfehlungen gibt. Derzeit werden die Verfahren so reformiert, dass eine Missachtung der »Empfehlungen« künftig scharf sanktioniert wird. Würden die Berichte der Wettbewerbsausschüsse dort einfließen, hätte wohl auch die Nichtbefolgung ihrer (Lohnkürzungs-)Empfehlungen schmerzhafte Sanktionen zur Folge.
Anders gesagt: Ausschüsse ohne demokratische Legitimation sollten Einfluss auf die Lohnentwicklung nehmen. Und zwar nicht anhand einer breiteren Fragestellung danach, welches Lohnniveau sozial und ökonomisch sinnvoll ist. Entscheidend soll sein: Was steigert die Wettbewerbsfähigkeit? So gedreht sind immer die niedrigsten Löhne am besten, denn das verbilligt die Produktion. Dadurch würden die Länder mit der schwächsten Lohnentwicklung den europäischen Standard setzen. Von den anderen würden entsprechende Korrekturen nach unten gefordert. Ein permanenter Druck auf die Tarifverhandlungen entstünde, der die Unternehmen begünstigt und die Gewerkschaften schwächt.
Der DGB hat den Vorschlag zurecht als Angriff auf die Tarifautonomie kritisiert und eine öffentliche Debatte über das Vorhaben ausgelöst. Letztlich nahm auch die Bundesregierung öffentlich eine kritische Position ein. Das Vorhaben wurde fallen gelassen. Nun greift die Kommission zu einem altbewährten Trick: Sie bringt das Konzept unter anderem Namen erneut ein. Im Juni 2016 lancierte sie ein Konzept zur »Einrichtung nationaler Ausschüsse für Produktivität«. Produktivität klingt besser als Wettbewerbsfähigkeit - ein Begriff, auf den viele allergisch reagieren. Produktivität dagegen wird gemeinhin gut gefunden.
Nennenswerte Veränderungen gegenüber den gescheiterten Wettbewerbsausschüssen gibt es jedoch nur in der Eingangsanalyse. Verantwortlich für die Wachstumsschwäche wird statt einem Mangel an Wettbewerbsfähigkeit nun einer an Produktivität gemacht. Doch noch im gleichen Absatz wird der Sprachgebrauch modifiziert - stets ist von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit die Rede.
Alles Weitere liest sich wie eine copy&paste-Variante des verworfenen Ansatzes: Eigenständig gegenüber nationalen Behörden sollen die Ausschüsse sein, angebunden an die EU-Kommission. Die Lohnbildungspraktiken sollen beobachtet und mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit analysiert werden.
Kommt die Kommission mit diesem billigen Trick durch? Das steht zumindest zu befürchten. So findet sich in der Abschlusserklärung des Europäischen Rates vom 28. Juni 2016 die kleine, aber beachtenswerte Aussage: Der Europäische Rat »billigt die Empfehlung zur Einrichtung nationaler Ausschüsse für Produktivität«. Das bedeutet: Die Regierungschefs haben dem Konzept zugestimmt - auch die Bundesregierung. Eine Demokratisierung der EU sieht anders aus.
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