Trainieren bis in die Nacht, schlafen bis zum Mittag
Schwimmweltmeister Marco Koch versucht dieser Tage im heimischen Darmstadt, seinen Körper auf den Zeitrhythmus der Olympiastadt Rio de Janeiro einzustellen
Wenn das Flutlicht angeht, hat Marco Koch das Becken fast für sich allein. Dann haben sich die Rentner und Freizeitschwimmer längst verabschiedet, neben denen der Weltmeister im Darmstädter Nordbad tagsüber für Olympia trainiert. Nur noch ein paar Vereinskollegen ziehen mit ihm ihre Bahnen. »Ein paar Leute machen aus Solidarität mit«, sagt der 26-Jährige. dem Sportinformationsdienst (SID).
Training am späten Abend, Schlafen bis mittags - Koch hat für die Operation Olympiagold seinen Tagesablauf komplett umgestellt, um sich an die ungewohnten Startzeiten in Rio de Janeiro zu gewöhnen. Die Finals beginnen wegen der TV-Übertragungen zur Prime Time in den USA erst nach 22 Uhr Ortszeit - drei bis vier Stunden später als normalerweise.
»Das Training läuft schon ganz gut, aber mit dem Schlafen habe ich noch Probleme«, berichtet der Goldfavorit über 200 m Brust. »Ich versuche, immer bis zwei Uhr nachts aufzubleiben und bis elf, halb zwölf zu schlafen. Aber morgens ist es schon sehr hell, und die Leute im Haus sind wach.« Von Montag an hat er dieses Problem nicht mehr. Dann fliegt er mit dem deutschen Schwimmteam bereits nach Brasilien, um sich in Florianopolis, eineinhalb Flugstunden südlich von Rio, auf die Olympischen Spiele (5. bis 21. August) vorzubereiten. Dann stört niemand mehr den ungewohnten Tagesablauf mit Training am Mittag und am späten Abend.
Nur die Natur bereitet Schwierigkeiten. »Es ist Winter und um 18 Uhr schon dunkel«, sagt Koch. Damit der Körper nicht bereits in den Ruhemodus schaltet, bevor er seine Höchstleistung bringen soll, sorgt der Weltmeister selbst für Licht. In einem Schlaflabor in Berlin hat er ausprobiert, »mit einer speziellen Lampe den Tageshöhepunkt nach hinten zu verschieben«. In Brasilien werden deshalb »die Fenster komplett zugeklebt, und wir haben einfach die eigene Sonne mit dabei«. Dem derzeit besten deutschen Schwimmer bereitet die Umstellung weniger Probleme als anderen. »Marco ist eher die Eule und nicht unbedingt der frühe Vogel«, sagt sein Trainer Alexander Kreisel, der die späten Startzeiten dennoch kritisiert: »Es ärgert mich, weil der Sportler in den Hintergrund gerät. Es geht nur um die Einschaltquoten.«
Es sei schwierig, »um 23 Uhr oder um Mitternacht die Bestleistung abzurufen«, meint Kreisel: »Darunter leiden der Sport und die Sportler. Wahrscheinlich würden sie schneller schwimmen, wenn die Wettkampfzeiten angemessener wären.« Weil die Fernsehsender diese aber diktiert haben, versuchen sie in Darmstadt, das Beste daraus zu machen. Nicht nur, indem sie für ihren Weltmeister im Freibad das Flutlicht anmachen. Auch das Wasser wird um ein Grad erwärmt, weil spätabends, wenn der eine oder andere Vereinskollege in Decken gewickelt am Beckenrand zuschaut, vom deutschen Sommer wenig zu spüren ist.
Ganz so, wie das Plakat über dem Eingang stolz verkündet: »Mit Darmstadt im Rücken nach Rio 2016«. Sogar eine erkleckliche Summe hat sein Verein DSW 1912 für Koch durch eine Spendenaktion gesammelt. So kann der Weltmeister am Montag in der Business Class nach Brasilien fliegen, »über Nacht, da soll man ja schlafen«, sagt Koch und fügt schmunzelnd an: »Zurück kann ich auch stehen.« SID/nd
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