Flüchtlinge in Griechenland: »Es fehlt an allem«
Noch immer harren tausende Menschen in der griechisch-mazedonischen Grenzregion aus
Nach der Räumung des Flüchtlingslagers bei Idomeni im Mai und der letzten wilden Camps an der griechisch-mazedonischen Grenze leben die meisten Geflüchteten nun in offiziellen Unterkünften. Ihre Lage hat sich dort allerdings nicht wesentlich verbessert. Der griechische Staat scheint überfordert und die EU setzt auf Verdrängung und Isolierung.
Die Behörden haben die Geflüchteten in Lagern untergebracht, die vom Militär kontrolliert werden und die der Öffentlichkeit nur schwer zugänglich sind. Chris, eine junge Frau, die in Köln hauptberuflich in einer Erstaufnahmestelle arbeitete und sich seit drei Monaten in der Region als Freiwillige engagiert, spricht von »menschenverachtenden und unterirdischen Zuständen«, als sie über offizielle Lager bei der griechischen Kleinstadt Polykastro berichtet. Wie auch schon das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor Wochen feststellte, fehlt es diesen Orten an sämtlichen humanitären Standards. »[...] die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser sowie der Zugang zu Sanitäranlagen und Elektrizität sind unzureichend [..]« heißt es in dem Bericht, den die Organisation Ende Mai veröffentlichte. Chris beschreibt die Situation einen Monat später drastischer: »Es fehlt an allem. Die zu Camps umfunktionierten ehemaligen Fabriken sind nicht nur dreckig, stickig, dunkel, undicht und deprimierend, sondern teilweise auch mit gesundheitsgefährdenden Substanzen verseucht.«
Auf die Lage der Geflüchteten im Norden Griechenlands macht dieser Tage auch das »NoBorder«-Camp in Thessaloniki aufmerksam. Wir berichten vom ersten Wochenende.
Eines dieser offiziellen Camps liegt bei Vasilika, einer kleinen Ortschaft kurz vor Thessaloniki. Ein abgelegenes und heruntergekommenes Fabrikgelände dient dort den Geflüchteten aus dem ehemaligen sogenannten EKO-Camp als neue Unterkunft. Hier steht Fawzi am Eingang des Geländes zwischen zwei Mannschaftsbussen der griechischen Polizei und berichtet aufgebracht über die letzten Tage. Der sonst geduldige Familienvater, der mit seiner Familie aus Mossul vor Milizen des Islamischen Staates floh, musste vor zwei Wochen innerhalb weniger Stunden seine Sachen packen und wurde hierher gefahren.
Das erste, was er zu sehen bekam, war ein aggressiver Mob hunderter Rassist_innen und Flüchtlingsgegner_innen. Steine und Feuerwerkskörper flogen auf das Gelände. Der 30-jährige Kurde hielt die Demonstrant_innen erst für Unterstützer_innen, wurde dann aber wie so oft in diesen Tagen enttäuscht. »Ich bin ein Mensch dieser Welt. Warum lasst ihr mich nicht wie einen Menschen leben?«, sagt er wütend und fast schon verzweifelt. Für ihn scheint die Situation zurzeit ausweglos. Die sogenannte Balkanroute ist martialisch abgeriegelt, das Leben in den griechischen Camps nicht auszuhalten. Selbst der Weg zurück in die Türkei ist mit erheblichen Kosten verbunden. Schmuggeln und Schleusen ist eben nicht nur Richtung Europa ein profitables Geschäft.
Die Wut auf das europäische Grenzregime wächst
Im Camp Vasilika wächst die Wut auf das europäische Grenzregime und das Gefühl, einzig Spielball politischer Großmächte zu sein. »Das zeigt auch die Geschichte – in der kurdischen Stadt Halibja wurden 1988 mehr als 5000 Menschen mit chemischen Waffen getötet«, erinnert sich Fawzi an die Vergangenheit seines Landes und fügt hinzu, dass »die Waffen aus Russland, Europa und den USA kamen«. Der Zynismus und die Absurdität dieser Situation, in der sich jetzt hunderttausende Menschen befinden, wird damit ziemlich treffend zum Ausdruck gebracht.
In der staubigen Fabrikhalle, in der hunderte Zelte des UNHCR dicht aneinandergereiht stehen, sind mittlerweile über 40 Grad. Seit zwei Stunden ist wieder einmal kein fließendes Wasser zu haben. An einem der Zelte ist mit einem dicken Filzstift der Schriftzug »can not sleep« angebracht worden. Auf einem anderen steht in breiten Lettern: »No life!«
Fawzi setzt seine Hoffnung in die eigene Geduld. Seit einigen Tagen gibt es kleine Lichtblicke im Lager. So haben die Behörden angefangen, unter dem Druck von Geflüchteten und Ehrenamtlichen ein Bildungszentrum einzurichten.
Die Freiwillige aus Deutschland hat indes vor zwei Tagen einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben. »Es ist Ihnen [...] sicherlich bewusst, dass Flüchtlingsbetreuer wie ich, die in Erstaufnahmeeinrichtungen angestellt sind [...], seit Monaten fürs Nichtstun bezahlt werden, weil Sie und die anderen EU-Verantwortlichen dafür gesorgt haben, dass die Geflüchteten nicht mehr bis zur deutschen Grenze vordringen können. Ich habe dieses Nichtstun angesichts Ihrer Politik nicht mehr ausgehalten und bin Anfang Mai nach Idomeni gekommen, um den Menschen da zu helfen, wo sie hängen geblieben sind«, schreibt sie und fordert unter anderem sichere Fluchtwege sowie den Stopp der Zusammenarbeit mit autoritären Regimen.
In der Gegend um Idomeni scheint Ruhe eingekehrt zu sein. Wo einst hunderte Menschen das Stadtbild prägten, sind auf den Straßen nur noch vereinzelt Familien oder Gruppen von Geflüchteten zu sehen. Die Menschen in den Militärcamps werden sich in den kommenden Tagen registrieren lassen, um offiziell Asyl in Europa zu beantragen. Ein Prozess, von dem viele schon ahnen, dass er nicht zum gewünschten Ergebnis führen wird. »Menschenrechte gelten eben nur für einen Teil der Weltbevölkerung«, meint Fawzi.
Bars und Hotels bleiben leer
Die Massen an freiwilligen Helfer_innen sind ebenfalls aus der Grenzregion abgereist. So bleiben auch die Bars und Hotels leer. Beispielsweise das Parkhotel in Polykastro. Die Unterkunft war zentraler Austausch- und Informationspunkt der Freiwilligen und vor drei Monaten noch ausgebucht. Dieser Umstand führte nun zu einem Streit zwischen Tourismusbranche und örtlicher Politik.
Die unabhängigen Helfer_innen, die im nach einer Tankstellenkette benannten EKO-Camp die Küche organisierten, verhandeln im Übrigen seit einigen Wochen mit den Behörden. Sie wollen die selbstorganisierte Küche in Vasilika weiterführen. Das für das Lager zuständige Militär und die Polizei können das Engagement allerdings bisher erfolgreich verhindern. Eine gängige Praxis in den offiziellen Lagern, wie Geflüchtete und Freiwillige berichten. Medico international titelte erst vor wenigen Tagen: »Die EU-Flüchtlingspolitik drängt die Menschen in die Unsichtbarkeit von Lagern und sabotiert ihre Selbstorganisation.« Anders und in einer einfacheren Formel könnte die Politik der EU auch mit einem alten Sprichwort formuliert werden: »Aus den Augen, aus dem Sinn.«
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