»Ich bin doch kein Sexist!«
Wirklich? Argumente gegen gängige Mythen und Abwehrbehauptungen – Teil I
»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnisse aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.
»Diese Petitesse, das ist doch noch kein Sexismus.«
FDP-Politiker Wolfgang Kubicki am 31. Januar 2013
»Aber eine besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen kann ich hierzulande nicht erkennen.«
Bundespräsident Joachim Gauck am 4. März 2013
Was ist dran?
Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen. Die Forschung, etwa das Bielefelder Forschungsteam zu »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«, hat bestätigt, dass die offene Zustimmung zu klassisch sexistischen Einstellungen – zum Beispiel, dass Frauen für die Kindererziehung zuständig seien – über die Jahre in Deutschland abgenommen hat.
Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass nicht die Zeit, die voranschreitet, diese Dinge verändert (hat), sondern die Frauenbewegungen. Und gleichzeitig ist dieser Rückgang nicht zu verwechseln mit einem Verschwinden von Sexismus an sich. So weist die Bielefelder Forschungsgruppe auch darauf hin, dass sich moderner Sexismus in einer anderen Gestalt zeigt. Er zeichnet sich durch Ironisierungen und die Leugnung aus, dass Frauen weiterhin aufgrund ihres Geschlechts Diskriminierungserfahrungen machen. Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem ist noch immer allgegenwärtig.
Der Unterschied zwischen nicht wissen und nicht wissen wollen
Die allerwenigsten Menschen würden von sich selbst behaupten, Sexist oder Sexistin zu sein. Entsprechend abwehrend reagieren viele, wenn eine ihrer Handlungen oder Äußerungen als sexistisch bezeichnet wird, schließlich wiegt der Vorwurf schwer, diesen Stiefel möchte sich niemand anziehen. Doch ohne Sexismus zu benennen, ist es nicht möglich, gemeinsam auf eine sexismusfreie Gesellschaft hinzuarbeiten.
Auch ein_e überzeugte_r Nichtsexist_in kann sexistisch handeln. Ein Wesensmerkmal von Sexismus wie auch von Rassismus ist, dass es sich um Überzeugungen handelt. Überzeugungen, die wir verinnerlicht haben und derer wir uns nicht immer bewusst sind. Auch wenn etwas nicht sexistisch gemeint gewesen ist, kann das Resultat dennoch eine sexistische Äußerung oder Handlung sein.
Nicht immer sind wir uns zudem über die eigenen gesellschaftlichen Vorteile und die Machtverhältnisse, in die wir eingebunden sind, im Klaren. Es macht einen Unterschied, aus welcher Position heraus ich mir einen Witz oder Spruch »erlauben« kann und welche Möglichkeiten mein Gegenüber hat, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Sexismus gehört zu unserem Alltag – wir nehmen ihn aber oft nicht bewusst wahr, eben weil er so alltäglich ist. Deshalb ist es so wichtig, öffentlich über Sexismus zu sprechen und Situationen als sexistisch zu benennen.
Entscheidend ist dabei auch, wie über Sexismus gesprochen wird. In den Medien wurde in den letzten Jahren immer wieder hitzig und emotional über Sexismus diskutiert. Dabei entstand zum Teil der Eindruck, es gehe beim öffentlichen Sprechen über Sexismus darum, einen einzelnen Menschen für sein oder ihr Fehlverhalten an den Pranger zu stellen. Viel wichtiger ist aber, dass konkrete, einzelne Situationen stets Ausdruck eines strukturellen, gesamtgesellschaftlichen Problems sind. Und dieses Problem bekommt man nur im Konkreten in den Griff. Ein anklagender, moralisierender Ton ist dabei in der Regel weniger hilfreich als ein offener Dialog, bei dem der Austausch über Diskriminierungserfahrungen und die Suche nach Veränderungen im Vordergrund stehen.
Häufig macht sich auch Verunsicherung breit: Ist dieses oder jenes Verhalten noch okay oder schon sexistisch? Diese Verunsicherung, die auch aus dem Wunsch und Anspruch heraus entstehen kann, sich nicht sexistisch zu verhalten, wird medial ausgenutzt und weiter geschürt. Gerade konservative Medienstimmen erwecken gern den Eindruck, als wäre es völlig willkürlich und nur vom persönlichen Empfinden einer Person abhängig, ob Sexismus vorliegt oder nicht. Die Grenzen können manchmal zwar durchaus fließend sein, sie sind aber nie beliebig – immer geht es um Ungleichbehandlung und -bewertung aufgrund von Geschlechterstereotypen.
Nehmen wir zum Beispiel eine Situation am Arbeitsplatz: Ein Kollege bittet die Kollegin, Kaffee für eine Besprechung zu kochen. Ist das jetzt schon Sexismus? Das kommt darauf an. Die Handlung des Kaffeekochens ist neutral. Die Situation wird erst durch weitere Komponenten sexistisch – oder eben nicht. Wird die Aufgabe des Kaffeekochens auch von den Kollegen verlangt? Wird hier also mit zweierlei Maß gemessen? Oder verbirgt sich dahinter vielleicht die Überzeugung, dass diese Aufgabe bei einer Frau besser aufgehoben ist, weil Frauen nun einmal besser in häuslichen Dingen seien?
Dieser Überzeugung mag sich der Kollege vielleicht gar nicht bewusst sein, er hat sie schlichtweg verinnerlicht, aber sie führt dazu, dass er die Kollegin anders behandelt. Oder wird die Kollegin, die mit dem um Kaffee bittenden Kollegen um eine Stelle konkurriert, vor allen anderen darum gebeten? Wird also eine gesellschaftlich zugeschriebene Geschlechterrolle (häusliche Aufgaben übernehmen) dazu benutzt, um Macht zu demonstrieren und die Kollegin in ihre Schranken zu weisen?
Für einen offenen Dialog über Sexismus bedarf es der Bereitschaft, sich mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen und es gegebenenfalls zu ändern. Natürlich kann es unangenehm sein, auf einen »Fehler« angesprochen zu werden, es ist in der Regel aber noch viel unangenehmer, Sexismus ansprechen zu müssen: Als zum Beispiel Waltraud Schoppe (Bündnis 90/Die Grünen) 1983 im Bundestag das Ende des »alltäglichen Sexismus im Bundestag« forderte, wurde sie offen ausgelacht.
Oder die Journalistin Laura Himmelreich: Sie schilderte 2013 in ihrem Porträt über Rainer Brüderle für das Magazin »Stern« sexistische Verhaltensweisen des FDP-Politikers und Spitzenkandidaten – er hatte unter anderem die Oberweite der Journalistin kommentiert. Der Vorfall wurde von Brüderles Parteikollegen Kubicki als »Petitesse« oder von Birgit Kelle als »lächerlich« abgetan. Diese prominenten Beispiele zeigen im Ansatz, welch harschen und abwertenden Reaktionen diejenigen ausgesetzt sind, die den Mut aufbringen, Sexismus zu benennen.
Deshalb ist es wichtig zu unterscheiden, ob jemand nicht weiß, was Sexismus ist, oder es schlichtweg nicht wissen will. Wer sein Gegenüber abwertet, der oder die hat kein Interesse an einem Dialog, sondern möchte, dass alles so bleibt, wie es ist, weil er oder sie mit dem Ist-Zustand zufrieden ist. Das könnte auch in Ordnung sein, wenn der Ist-Zustand für alle zufriedenstellend wäre. Wollen wir aber eine Gesellschaft ohne Sexismus, müssen wir sie verändern.
Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.
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