Allein im Nazi-Sumpf

Nils Oskamp beschreibt in einem Comic, wie er als 14-jähriger Schüler gegen Dortmunds Neonazi-Szene ankämpfte

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.
In seinem autobiografischen Comic »Drei Steine« erzählt Nils Oskamp von rechter Gewalt und Zivilcourage. »Es gibt sonst keine Geschichte aus Opfersicht«, sagt der Autor zur Wichtigkeit seines Buches.

Dortmund hat eine der aktivsten Neonazi-Szenen der Republik. Das galt schon in den 1980ern. Ein wichtiger Faktor für das Entstehen dieser Szene ist nun in einem Comic dargestellt. Darin lädt ein ehemaliger SS-Angehöriger Anfang der 1980er junge Leute in seine Wohnung ein, um »Kameradschaftsabende« abzuhalten, an denen Nazi-Mythen über den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus gepflegt und Nazi-Lieder gesungen werden.

»Aus diesen Abenden sind auch einschlägige Bands und Wehrsportübungen hervorgegangen«, sagt Nils Oskamp, der Autor des Comic-Romans »Drei Steine«. Ein Freund von ihm war einmal bei so einem Abend dabei. Oskamp selbst hat aber mehr als genug eigene Erfahrungen mit Dortmunder Neonazis gesammelt. Er wäre dabei fast gestorben. Der heute in Hamburg lebende Illustrator hat seine Erlebnisse nun mit feinem Strich festgehalten.

Im Alter von 13 bis 15 Jahren hatte der 1969 Geborene an seiner Realschule im Stadtteil Dorstfeld einen Dauerkonflikt mit Nazis. Dass dies über so einen langen Zeitraum ging, hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen Oskamps Mut, den immer zahlreicher werdenden Jungen, die ihre Ansichten im Geschichtsunterricht verkündeten (»Auschwitz-Lüge«) und auf Bomberjacken nähten, entgegenzutreten. Er machte sich nicht nur über ihre Wandschmierereien her, sondern auch in der Klasse den Mund auf.

Die andere Ursache für den Dauerkonflikt war die Gleichgültigkeit seines Umfelds. Wurde er zusammengeschlagen, wollte die Polizei vor allem Zeugen. Die Schule unternahm nichts gegen die Dauerpöbler - übrigens auch nicht gegen den Geschichtslehrer, der von der Wehrmacht schwärmte und die Neonazis bestärkte. Oskamps Eltern waren wegen zweier Todesfälle in der Familie abgelenkt. Und der große Bruder wollte von ihm prinzipiell in Ruhe gelassen werden.

Parallel spielten sich fatale Entwicklungen ab: Der besagte SS-Mann habe an mehrere Schulen junge Propagandisten schicken können, erzählt Oskamp. Die Nazi-Hooligantruppe Borussenfront gründete sich und übte politischen Einfluss und Gewalt aus. »Die Nazis hatten freie Hand, weil der damalige Polizeipräsident von Dortmund auf dem rechten Auge blind war«, sagt der mehrfach ausgezeichnete Analog- und Digital-Zeichner. An der Gleichgültigkeit von Oskamps Umfeld änderte es auch nichts, dass ein jüdischer Friedhof in der Nähe seiner Schule mit Nazi-Schmierereien geschändet wurde.

»An diesem Friedhof bin ich jeden Morgen vorbeigefahren, weil ich dort besser entwischen konnte, wenn sie mir auflauerten«, erinnert sich Oskamp. Viele andere Dinge habe er gar nicht erst ins Buch aufgenommen, um es nicht mit Gewalt zu überladen. Etwa dass er einmal selbst ein Messer zog, als ihm ein Nazi auflauerte (womit er ihn verscheuchen konnte). Eine zentrale Stelle im Comic ist es, als Oskamp schildert, wie er den ihm körperlich unterlegenen Anführer der Nazi-Jungs einmal fast mit einem Stein getötet hätte, sich aber gerade noch zurückhalten konnte.

»Drei Steine« kommt zunächst lange ein bisschen pädagogisch rüber, etwa wenn es offensichtlich um die Erwähnung zentraler Nazi-Begriffe wie »Deutschland erwache« und »Volksverräter« geht. Doch dann nimmt die Gewalt ein überraschendes, gar nicht so jugendbuchmäßiges Ausmaß an. Auf Oskamp wird durch das Wohnzimmerfenster mit einer scharfen Waffe geschossen. Kurz danach wird er von mehreren Leuten so verprügelt, dass er fast stirbt.

»Es gibt sonst keine Geschichte aus Opfersicht«, begründet der Autor die Wichtigkeit seines Buches. Trotz der immensen Nazi-Gewalt der letzten Jahrzehnte kennt Oskamp als Zeugnis aus Opfersicht nur das 2013 erschienene Buch von Semiya Şimşek, der Tochter des vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) 2000 in Nürnberg ermordeten Enver Şimşek.

Der autobiografische Comic wird durch einen 15-seitigen Text über die Geschichte der Dortmunder Neonazi-Szene ergänzt. Bestürzende Ereignisse werden so in Erinnerung gerufen: Im März 2005 erstach ein 17-jähriger Nazi, der auch später noch sehr aktiv war, einen Punker, der ihn kritisiert hatte; am 1. Mai 2009 stürmten Hunderte Nazis eine Gewerkschaftskundgebung.

Den Text hat die Amadeu-Antonio-Stiftung beigesteuert. Sie verschickt auf Anfrage eine kostenlose und nur halb so lange Schulausgabe von »Drei Steine«. Das Werk wurde vom Bundesfamilienministerium gefördert - nach zahlreichen erfolglosen Anträgen Oskamps bei »Kulturstiftungen«, wie er sagt. Zielgruppe des Schulbuches sind die Klassenstufen 8 bis 10. Unter www.dreisteine.com gibt es pädagogisches Begleitmaterial. Der Autor steht auch für Lesungen zur Verfügung.

Kürzlich war Nils Oskamp für einen Fernsehdreh wieder an seiner alten Schule. Er hat festgestellt: »Die Hakenkreuze sind immer noch im Klo eingeritzt.«

Nils Oskamp, Drei Steine, erschienen bei Panini, 144 Seiten, gebunden, 19,99 €. Am 29. Juli um 16 Uhr und 30. Juli um 14 Uhr signiert der Autor bei Ultra Comix in Nürnberg, Vordere Sterngasse 2

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