Alle russischen Athleten weg oder doch nur ein paar?
Eine komplette Olympiasperre gegen Russland ist in der Sportwelt umstritten
Die Ironie ist kaum zu ertragen. Auf den Tag genau 36 Jahre nach der Eröffnungsfeier der von 42 Nationen boykottierten Olympischen Spiele in Moskau diskutierte die Sportwelt darüber, ob Russland von den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro ausgeschlossen werden sollte. Die beginnen in knapp zweieinhalb Wochen, und noch immer können die Startlisten nicht geschrieben werden.
Am Montag hatte der von der Welt-Antidoping-Agentur WADA beauftragte Richard McLaren in seinem Untersuchungsbericht Russland ein staatlich kontrolliertes Betrugssystem in fast allen olympischen Sportarten nachgewiesen, woraufhin die WADA den Internationalen Olympischen (IOC) und Paralympischen Komitees (IPC) empfahl, den Ausschluss aller russischen Sportler zu prüfen.
Im Anschluss an eine Telefonkonferenz der IOC-Exekutive am Dienstag gab das IOC in Lausanne bekannt, dass noch keine Entscheidung über einen Ausschluss russischer Sportler von Olympia in Rio getroffen wurde. Man werde den Ausgang des Verfahrens abwarten, das derzeit vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) wegen des Komplettausschlusses der russischen Leichtathleten von den Spielen geführt wird. Der CAS wollte bis Donnerstag über den Einspruch der betroffenen Sportler entscheiden.
Allerdings beschloss das IOC andere, vorläufige Maßnahmen gegen Russland. So dürften weder Offizielle des russischen Sportministeriums noch andere im Report der WADA erwähnte Personen zu den Spielen nach Rio reisen.
Viele Funktionäre und Athleten preschten aber schon vor der IOC-Entscheidung vor. Die Vereinigung der Olympischen Sommersportverbände (ASOIF) plädierte gegen einen Bann aller Athleten und für »individuelle Gerechtigkeit«. Der Dachverband akzeptiere jedoch, wenn Einzelverbände wie die IAAF Kollektivstrafen aussprechen. Die ASOIF forderte die WADA auf, schnell alle Daten über vertuschte positive Dopingtests zu übermitteln, um Betrüger noch rechtzeitig von Rio ausschließen zu können.
Der deutsche Präsident der Internationalen Tischtennis-Föderation, Thomas Weikert, sähe auch gern russische Athleten in Rio, obwohl McLaren in seinem Bericht auch einen Vertuschungsfall in seiner Sportart genannt hatte. »Wir glauben, dass drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Doping aus dem Sport zu verdrängen. Aber ich denke auch, dass saubere Athleten nicht bestraft werden sollten«, sagte Weikert dem Branchendienst »Insidethegames«. Ähnlich äußerte sich der Turnverband, dessen Athleten in McLarens Bericht gar nicht auftauchen.
Das IOC hatte betont, dass russische Leichtathleten bei bewiesener Unschuld unter eigener Flagge starten dürften, da sie vom Russischen Olympischen Komitee (ROC) nominiert werden. Dieses wurde nie vom IOC suspendiert, da weder der erste noch der nun vorgelegte zweite WADA-Untersuchungsbericht einen solchen Schritt empfohlen hatte. Dabei ist der von Staatspräsident Wladimir Putin am Montag suspendierte Vizesportminister Juri Nagornich auch Mitglied in der Exekutive des ROC. Nagornich gilt als Schlüsselfigur im Betrugssystem rund um die vertuschten positiven Proben.
Die Sportler scheinen noch gespalten in ihrer Meinung zu sein. Die Athletenkommission der WADA gab zunächst ein klares Statement ab: »Wir sind getroffen von den Ausmaßen und der Durchdringung auf allen Ebenen«, sagte die Vorsitzende Beckie Scott. Deswegen fordere die Kommission, dass »Russland von den Olympischen und Paralympischen Spielen ausgeschlossen werde«.
Dagegen plädiert die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes für Ausnahmen. »Der Glaube an saubere Wettkämpfe scheint naiver denn je. Das IOC und die internationalen Spitzenverbände sind allen sauberen Athleten konsequente Entscheidungen schuldig. Der Ausschluss der gesamten russischen Mannschaft ist die Ultima Ratio. Nachweislich sauberen Athleten muss das Startrecht in Rio aber eingeräumt werden«, hieß es in einer Stellungnahme vom Dienstag.
Von einem anderen dopingbedingten Kollektivausschluss profitieren deutsche Sportler bereits. So dürfen die Rennkanuten in Rio nun doch im Einer-Canadier über 200 Meter sowie im Zweier über 1000 Meter ein Boot an den Start bringen. Die Plätze waren zuvor dem Verband aus Belarus aberkannt worden, weil den Athleten systematisches Doping vorgeworfen wird. Dagegen läuft jedoch auch noch ein Protest vor dem CAS.
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