Später genug zu beißen
IG Metall stellt ihr Rentenkonzept vor
Diethelm Langer kennt das Problem. Er ist Mechaniker, ehemaliger Betriebsrat, Gewerkschaftssekretär und seit Jahren ehrenamtlicher Rentenberater. In seine Sprechstunde im Rathaus der niedersächsischen Gemeinde Bad Salzdetfurth kommen überwiegend ältere Beschäftigte, die gekündigt wurden. Meist geht es darum, wie sie es schaffen können, auch mit einem verfrühten Ausstieg aus dem Berufsleben eine auskömmliche Altersversorgung zu haben.
»Leute, die über 45 Jahre gearbeitet und einigermaßen verdient haben, die ihr Häuschen haben, die kommen einigermaßen über die Runden - aber auch nur mit Mühe und Not«, erzählt Langer. Eine der häufigsten Fragen sei: »Welchen Nebenjob kann ich machen?« Viele arbeiteten aber auch gegen die eigene Gesundheit weiter, wenn sie beispielsweise keine Erwerbsminderungsrente bekommen und dann vom Jobcenter in die Frühverrentung mit dicken Abzügen gezwungen werden. »Renten von unter 1000 Euro brutto sind keine Seltenheit«, sagte Langer.
Die Ursachen? In den Augen Langers und seiner Gewerkschaft, der IG Metall (IGM), liegen sie in den Reformen Anfang des Jahrtausends. Damals hatte die rot-grüne Koalition beschlossen, die gesetzliche Rente stetig abzusenken; so stark, dass ein »Anreiz« geschaffen werde zu »riestern«, also eine private, staatlich geförderte Altersversicherung abzuschließen.
»Wir fordern einen Strategiewechsel in der Rentenpolitik«, sagte IGM-Chef Jörg Hofmann am Mittwoch bei der Vorstellung des Rentenkonzepts seiner Gewerkschaft in Berlin. Hintergrund ist eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Gewerkschaft, nach der fast zwei Drittel der jungen Beschäftigten pessimistisch in die eigene Zukunft blicken. »Immer mehr Menschen, die lange gearbeitet haben, können wegen der Absenkung des Rentenniveaus, der Anhebung der Altersgrenze, der Zunahme von Niedrigeinkommen und Lücken in der Erwerbsbiografie im Alter nicht mehr gut von ihrer Rente leben«, so Hofmann weiter. Nach der Darstellung der IGM sinkt das Niveau der gesetzlichen Rente kontinuierlich, von 53 Prozent im Jahr 2000 über 47,5 Prozent in diesem Jahr auf 43 Prozent im Jahr 2030.
Die IGM will die gesetzliche Rente wieder zum Kern der Altersversorgung machen. Dazu sollen in einem ersten Schritt das Rentenniveau stabilisiert und weitere Absenkungen gestoppt werden. Im zweiten Schritt soll die Renten- an die Lohnentwicklung gekoppelt werden. Und im dritten Schritt soll das Rentenniveau angehoben werden.
Letztlich soll der viel zitierte Eckrentner, der über die Dauer seines Erwerbslebens jeweils auf Basis des Durchschnittsgehalts eingezahlt hat, nach 43 Jahren Arbeit 1450 Euro brutto monatlich aus der gesetzlichen Rente bekommen. Heute sind es 1370 Euro nach 45 Jahren. Ein derartiges Modell hätte die Anhebung aller Renten zur Folge, sagte IGM-Vorstand Hans-Jürgen Urban. Um es zu finanzieren, setzt die IG Metall auf die Demografiereserve, einen höheren Bundeszuschuss aus Steuermitteln sowie einen erweiterten Personenkreis der gesetzlich Rentenversicherten; Konkret: Soloselbstständige, BeamtInnen und PolitikerInnen sollen einzahlen. Letztlich soll der Beitragssatz angehoben werden: von derzeit 18,7 auf 25 Prozent im Jahr 2030.
Dazu sollen Instrumente zum Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge und zum Schutz vor Armut kommen. Die IG Metall spricht insgesamt vom Aufbau einer solidarischen »Altersversorgung«. »Das Vertrauen in kapitalmarktgestützte Modelle ist spätestens seit der Finanzmarktkrise schwer erschüttert«, sagte Urban schon am Dienstag. Es gebe also derzeit »ein gutes Umfeld für ein gewerkschaftliches Herangehen«.
Die Gewerkschaften hatten die Rentenkampagne zur Bundestagswahl angekündigt. Der DGB will Anfang September vor die Presse treten. »Ver.di und die IG Metall sind die Motoren der DGB-Alterssicherungskampagne«, so ver.di-Vorstandmitglied Eva Welskop-Deffaa gegenüber »nd«. Man wolle gemeinsam dafür sorgen, »dass die dynamische Rente im Alter ein Leben in Würde für all diejenigen sichert, die mit ihren Beiträgen Vorsorge fürs Alter betrieben haben«.
Das Kapital goutierte die gewerkschaftlichen Ideen indes nicht. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) warf der IG Metall vor, leichtfertig die Finanzierbarkeit der Rentenversicherung aufs Spiel zu setzen. Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer der Gesamtmetall, lobte die geforderte Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge. »Falsch, völlig illusionär und unbezahlbar ist eine Festschreibung oder gar Anhebung des Rentenniveaus«, sagte Zander zugleich. Unterstützung kam vom Sozialverband VdK. »Das Rentenniveau muss bei 50 Prozent, mindestens aber auf heutigem Niveau stabilisiert werden«, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Mit dpa
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