Schließt die Lücken - jetzt!
Holger Wicht fordert, die Maßnahmen gegen Aids zu intensivieren. Auch in Deutschland.
»Wir schlagen Alarm!« - Kurz vor der 21. Internationalen Aids-Konferenz in Durban ging UNAIDS mit schlechten Nachrichten an die Öffentlichkeit: Die HIV-Neuinfektionen gehen weltweit nicht weiter zurück. In einigen Regionen steigen sie, teils drastisch, vor allem in Russland. Zwei Millionen pro Jahr meldet der »Präventionslücken-Report«. Die Kontrolle über die Epidemie könnte entgleiten, warnte UNAIDS. Zugleich stirbt noch immer jedes Jahr eine Million Menschen an Aids.
Das sind ungewohnte Töne für eine Organisation, die in letzter Zeit vor allem große Ziele kommuniziert hat. UNAIDS will die Aids-Epidemie bis zum Jahr 2030 »auf der Überholspur« beenden. 23 Milliarden Dollar sind demnach für den ersten Wegabschnitt bis 2020 notwendig, 13 Milliarden Dollar davon will der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria bei seiner Wiederauffüllungskonferenz im September in Montréal einsammeln. Nun droht jedoch auch noch eine drastische Finanzierungslücke. Einige Länder kürzen ihre Beiträge zum Globalen Fonds, der starke Dollar schwächt den Wert gleichbleibender Beiträge. Und UNAIDS fehlen im laufenden Jahr 80 von 240 Millionen Dollar.
Es wäre jedoch fatal, sich von dieser prekären Situation entmutigen zu lassen. Gerade jetzt gilt es zu zeigen: Es ist möglich, die Epidemie noch besser in den Griff zu bekommen. Alle nötigen Instrumente stehen zur Verfügung. Das beweisen die Erfolge der 16 Jahre seit der letzten Welt-Aids-Konferenz in Durban, die jetzt in Gefahr sind. Viele Millionen Menschen haben Zugang zu HIV-Medikamenten erhalten, die Prävention wurde massiv intensiviert. Todesfälle und Neuinfektionen gingen stark zurück.
Warum kommt diese Entwicklung jetzt ins Stocken? Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen erhält noch immer nicht einmal die Hälfte der 37 Millionen Menschen mit HIV weltweit die lebensrettenden Medikamente. Sehr viele wissen nicht einmal, dass sie infiziert sind. Beides führt dazu, dass HIV sich weiterverbreitet. Denn eine HIV-Therapie verhindert auch die Übertragung des Virus.
Dass so viele Menschen nichts von ihrer Infektion wissen, hängt mit defizitären Gesundheitssystemen zusammen. Vor allem aber liegt es daran, dass Menschen mit HIV enorm stigmatisiert werden. Wer sich davor fürchten muss, von Freunden und Familie verstoßen zu werden, geht lieber nicht zum Test.
Die Stigmatisierung und Verfolgung der besonders stark betroffenen Gruppen verhindert zugleich in vielen Ländern wirksame Prävention. Zwei Beispiele: Wenn Sexarbeiterinnen in Südafrika ein Kondom in der Tasche haben, kann dies als Indiz für ihre immer noch illegale Tätigkeit gewertet werden. In Russland darf man über Homosexualität öffentlich nichts Bejahendes sagen - geschweige denn schwule Männer über Safer Sex aufklären. Drogenkonsumenten, die dort am stärksten betroffene Gruppe, verfolgt man, statt ihnen saubere Spritzen und eine Substitutionstherapie anzubieten.
Die Menschenrechte der benachteiligten Schlüsselgruppen bilden die Grundlage für erfolgreiche Prävention. Die UN-Vollversammlung hat dies im Juni in einer Deklaration festgeschrieben. Doch Stigmatisierung bleibt die größte Herausforderung.
Die finanzielle Frage ließe sich vergleichsweise leicht lösen. In Durban wurde immer wieder darauf hingewiesen: Es ist eine Frage des Willens. Aus genau diesem Grund sollte das wirtschaftsstarke Deutschland jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und seinen mageren Beitrag zum Globalen Fonds auf 400 Millionen Euro pro Jahr verdoppeln.
Und: Deutschland muss seine Hausaufgaben machen. »Zugang für alle - Gerechtigkeit jetzt!«, lautete das Konferenzmotto. Doch auch hierzulande gibt es Versorgungslücken. Menschen ohne Aufenthaltspapiere haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung - sie riskieren ihre Abschiebung, wenn sie sich in ärztliche Behandlung begeben. Noch immer gibt es keine sauberen Spritzen in Haftanstalten und in zehn Ländern keine Drogenkonsumräume. Todesfälle und vermeidbare HIV- und Hepatitis-Infektionen sind die Folge.
Und auch in Deutschland wissen 13 000 Menschen nichts von ihrer HIV-Infektion. Die Stigmatisierung und falsche Vorstellungen vom Leben mit HIV schrecken viele vom Test ab. Sie wissen nicht, dass man heute mit HIV lange und gut leben kann.
Wenn es eine Botschaft dieser 21. Internationalen Aids-Konferenz gibt, dann diese: Schließt die Lücken - jetzt!
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