Kollektivstrafen dürfen keine Lösung sein
Monika Lazar begrüßt, dass das Internationale Olympische Komitee nicht alle russischen AthletInnen von den Spielen in Rio ausgeschlossen hat. Die »sauberen« Sportler haben nun die Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen. Ein fauler Kompromiss ist dagegen, dass die Stepanows nur als Zuschauer zugelassen werden.
Mit Spannung war die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) über die Teilnahme der russischen AthletInnen an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro Anfang der Woche erwartet worden. Viele Kommentatoren zeigten sich dann enttäuscht von dem Entschluss des IOC, Russland nicht komplett für Rio zu sperren. Doch wäre eine Kollektivsperre das angemessene Mittel gewesen? Ist die Angelegenheit wirklich so einfach?
Selbstverständlich, laut dem McLaren-Bericht gab es - und man muss davon ausgehen gibt es - ein System von Staatsdoping in Russland. Dagegen muss konsequent vorgegangen werden, sei es in Russland oder in anderen Ländern. Insbesondere Russland, das immerhin die Fußball-WM 2018 austragen soll, steht jetzt unter genauer Beobachtung der Weltöffentlichkeit und muss tiefgreifende Reformen der eigenen Sportstrukturen nun endlich anpacken.
Doping schädigt nicht nur individuell die Gesundheit der AthletInnen, es untergräbt auch fundamentale Werte des Sports und schadet der Integrität des Spitzensports, die ja in den vergangenen Jahren schon sehr unter den schier endlosen Korruptionsskandalen litt. Deswegen muss dagegen konsequent vorgegangen werden.
Der Komplettausschluss aller russischen AthletInnen wäre aber ein falsches Zeichen gewesen. Kollektivstrafen dürfen keine Lösung sein. Sie sind aus rechtsstaatlicher Perspektive fragwürdig, denn sie treffen immer auch Unschuldige. Auch unter den 387 russischen SportlerInnen, die in Rio antreten wollen, befinden sich wohl auch etliche saubere AthletInnen. Diese, wie viele das sind, können wir im Moment noch nicht beurteilen, haben nun die Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen. Das stärkt die individuellen Rechte der AthletInnen. Wer wirklich nicht gedopt hat - und das in der kurzen Zeit bis zum Beginn der Olympischen Spiele am 5. August noch glaubwürdig beweisen kann - darf antreten. Das ist kein fauler Kompromiss, wie es von vielen Seiten heißt. Es gilt, jetzt den sauberen Teil des russischen Sports zu stärken und gleichzeitig mit aller Härte gegen Dopingsünder und die dahinter stehenden staatlichen Strukturen vorzugehen.
Umso enttäuschender ist aber, dass das IOC die Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht in Rio an den Start gehen lässt. Die mutigen Enthüllungen der Sportlerin und ihres Ehemannes Witali Stepanow haben entscheidend dazu beigetragen, dass der russische Dopingskandal ans Licht kam. Völlig verdient wurde sie deshalb erst kürzlich für ihr Engagement von der Doping-Opfer-Hilfe mit dem Anti-Doping-Preis 2016 ausgezeichnet.
Bei allem Verständnis für die Entscheidung des IOC, keine Kollektivstrafe gegen Russland zu verhängen, bleibt also ein bitterer Beigeschmack. Ein großes Zeichen wäre gewesen, wenn man gleichzeitig Julia Stepanowa ein Startrecht unter neutraler Flagge gewährt hätte. Denn solange der internationale Spitzensport mit Doping und sogar mit staatlichen Dopingsystemen zu kämpfen hat, müssen Whistleblower nicht nur geschützt, sondern auch anerkannt werden. Das IOC hat hier eine große Chance vertan. Dass das IOC die Stepanows nun als Gäste zu den Spielen eingeladen hat, das ist - mit Verlaub - blanker Hohn und ein fauler Kompromiss.
Russland steht jetzt unter Sonderbeobachtung und muss handeln. Genauso müssen wir gegen Dopingfälle in der ganzen Welt vorgehen - wenn es sich um staatliche Strukturen handelt umso konsequenter. Dass wir im Jahre 2016 immer noch mit solchen Dopingskandalen zu kämpfen haben, stellt jedoch auch das weltweite Anti-Doping-System in Frage. Denn wie kann es sein, dass es immer wieder Schlupflöcher für Dopingsünder gibt? Auch hier gilt es, konsequent zu reformieren!
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