Eine Torte für den Vizepräsidenten

Die »Mujeres Creando« wehren sich mit kreativen Aktionen gegen das Patriarchat in Bolivien

  • Sebastian Hachmeyer, La Paz
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 1992 setzt sich das feministisch-anarchistische Kollektiv für Frauen- und Menschenrechte in Bolivien ein. Im Juli feierte das eigene Radio »Deseo« neuntes Jubiläum.

»Entzünde deine Freiheit, Radio Deseo!« Mit diesem Spruch wird seit neun Jahren feministisches Radio in Bolivien gemacht. »Als damals noch wichtigstes Kommunikationsmittel haben wir uns 2007 entschlossen, unser eigenes Radio zu gründen, um unsere feministisch-politischen Themen im ganzen Land zu verbreiten«, so Julieta Ojeda, Mitverantwortliche des feministisch-anarchistischen Kollektivs »Mujeres Creando«.

Das Radio befindet sich samt Café und kulturpolitischem Zentrum »Virgen de los Deseos« in Sopocachi, dem Szeneviertel von La Paz. An den Wänden hängen Porträts von indigenen Feministinnen, darunter Schriftzüge wie »Denken ist höchst feminin«. Laut einer freiwilligen Mitarbeiterin des Cafés sei das Radio das einzige, das kritisch aus feministischer Perspektive berichte. »Für mich ist es ein öffentlicher Raum, im dem denen eine Stimme gegeben wird, die normalerweise nicht gehört werden«, sagt ein Gast des Cafés und bringt damit das Motto des Radios »Hier bist du Protagonist!« auf den Punkt.

Darüber hinaus ist das Radio politisches Sprachrohr für die Mujeres Creando selbst, die neben einer feministischen Zeitschrift auch kreative Straßenaktionen organisieren. »Für das Jubiläum unseres Radios haben wir uns eine neue Straßenaktion überlegt, zusammen mit den Menschen mit Behinderungen, die seit Monaten auf den Straßen von La Paz campieren und einen monatlichen Solidaritätsbonus fordern«, so Ojeda.

Vor dem Vizepräsidentenpalast versammeln sich die Gründerin des Kollektivs, Maria Galindo, und andere AktivistInnen von Mujeres Creando. In der Hand trägt Galindo eine Torte, die den nationalen Reichtum symbolisieren soll. Jedes Tortenstück steht für einen Teil der Staatsausgaben, der den AktivistInnen überflüssig erscheint: Militär, Ralley Dakar, horrende Gehälter von Parlamentariern, Privatjet für Regierungsmitarbeiter. Als symbolischen Akt werfen die AktivistInnen die Tortenstücke gegen die Eingangstür des Palastes. Den Menschen mit Behinderung bleibt lediglich der marginale Rest. »Das ist kein Straßentheater, sondern kreative und symbolische Kommunikation, eine neue Form politischer Sprache, die wir in den vergangenen Jahren perfektioniert haben«, so Ojeda.

Die Mujeres Creando sind als Reaktion auf die arrogante und homophobe Haltung der alten Linken in den 80er Jahren zu verstehen. In dieser Zeit wurde das Gender-Thema vor allem von internationalen Organisationen auf die Tagesordnung gebracht. »Wir setzen uns von diesen liberalen Politikfeldern ab, indem wir uns auf den Anarcho-Feminismus berufen«, so Galindo. Die liberalen Politikelemente - beispielsweise die Frauenquote - seien unter Präsident Evo Morales zwar umgesetzt worden, allerdings ohne jegliche emanzipatorische Transformation. Die Frauenquote wurde erhöht, eine »reale« politische Repräsentation sei dadurch jedoch nicht erreicht. Vielmehr würden die Frauen die patriarchale Vision des Staates vervollständigen, meint Galindo. »Fragt man jene Frauen, die eine politische Position vertreten, hört man immer das Gleiche. Sie denken, sie seien der Partei etwas schuldig«, sagt Galindo.

Die eigene Unterordnung der Frauen ist in der Tat ein großes Problem und unterminiert jede Art der kritischen Auseinandersetzung. Ende letzten Jahres beispielsweise rief Morales mit einem diskriminierenden »Witz« gegenüber der 28-jährigen Gesundheitsministerin Campero harsche Kritik hervor. Während Morales eine Rede hielt, blickte Campero auf ihr Handy und schien zu chatten. Morales wandte sich an die junge Ministerin und sagte grinsend: »Wir müssen anfangen zu planen, Ministerin. Ich will nicht denken, dass sie Lesbin sind, Compañera.« Die Ministerin schien erschrocken: »Nein, nein, ich doch nicht.« Aufgrund der Kritik wandte sich Morales an die Öffentlichkeit. Sagen, fragen oder denken, ob jemand Lesbin ist, sei doch keine Beleidigung, so der Präsident. Viele Verbände weisen jedoch seit Jahren darauf hin, dass sich Machismus und Homophobie gerne hinter »nicht ernst gemeinten Witzen« tarnen.

Die selbst lesbische Aktivistin Galindo schüttelt den Kopf. »In diesem Moment leben wir in einer Notstandssituation in Bolivien. Im letzten Jahr gab es 130 Frauenmorde. Statistisch gesehen wird in Bolivien alle drei Tage eine Frau ermordet.« Das Radio Deseo organisiert seit einigen Monaten eine Plattform für Angehörige von weiblichen Mordopfern, um mit kostenlosen Rechtsberatungen und Kollektivismus gegen das korrupte Justizsystem vorzugehen, in dem auch neue Gesetze gegen Gewalt keine Anwendung finden. Wenn Galindo sagt, dass Frauen keine Gerechtigkeit erfahren, ist dies keine politische Floskel, sondern erlebte Realität.

Die Mujeres werden wegen ihres politischen Aktivismus oft stigmatisiert. »Es heißt, wir seien verrückt, wir seien radikal, wir seien rechts. Aber wir sind Feministinnen, wir sind Frauen der Linken, und uns interessiert eine wirkliche gesellschaftliche Transformation«, sagt Galindo. Von dieser ist Bolivien, wo Entkolonialisierung und Entpatriarchalisierung verfassungsrechtliche Güter darstellen, aber noch weit entfernt. Das Gesetz zur Geschlechteridentität scheint dabei ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Seit Mai können die Menschen in Bolivien selbst bestimmen, welchem Geschlecht sie angehören.

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