Grabstein vor kaltem Backofen
Beim Backwarenhersteller Fricopan gibt es einen Sozialplan - und eine ungewisse Zukunft
Ein schwarzer Grabstein und ein ganz in schwarz gekleideter Betriebsrat - die letzte Betriebsversammlung der rund 500 Mitarbeiter von Fricopan in der Altmark wurde als Beerdigung inszeniert. Vom Band lief »Time to say goodbye«, vor dem Grabstein brannte eine weiße Kerze. »Wir haben«, sagt Betriebsratschefin Gerda Hentschel, »unsere Firma zu Grabe getragen«.
Am 31. August, in weniger als vier Wochen, sperrt der Hersteller von gefrosteten Backwaren, der seit 1996 in Immekath in der Altmark produziert, die Tore zu. Der Mutterkonzern Aryzta hatte die Entscheidung mit unzureichender Wirtschaftlichkeit und einer schlechten Verkehrsanbindung begründet. Zahlen, wonach die Niederlassung im Norden von Sachsen-Anhalt im Jahr 2014 Gewinne von 2,7 Millionen Euro und im Jahr darauf gar von 9,4 Millionen Euro verzeichnen konnte, lassen daran ebenso zweifeln wie der Umstand, dass die Anlagen derzeit auch an Wochenenden laufen. Der LINKE-Politiker Andreas Höppner - bis zu seiner Wahl in den Landtag Vorgänger von Hentschel im Betriebsrat - wirft dem Konzern vor, die Produktion bereits seit 2014 gezielt in eine Niederlassung im Mansfeld zu verlagern und dafür Fördergelder des Landes zu Hilfe zu nehmen. Er hat Aryzta-Manager kürzlich wegen Missbrauch von oder Betrug mit Subventionsgeldern angezeigt.
Den Beschäftigten in der Altmark helfen die Kontroversen nicht mehr; ihre Beschäftigungsverhältnisse laufen je nach Kündigungsfrist zwischen September und Januar 2017 aus. Der harte Einschnitt wird zumindest etwas abgemildert durch einen Sozialplan, den der Betriebsrat im Schiedsverfahren mit der Geschäftsführung ausgehandelt hat und der allseits gelobt wird. Er sieht unter anderem vor, dass pro Beschäftigungsjahr ein ganzes Monatsgehalt als Abfindung gezahlt wird; in der Branche üblich ist nur die Hälfte. »Wir hätten nicht geglaubt, dass wir ein solches Ergebnis erzielen können«, räumte Hentschel im Gespräch mit »nd« ein. Der Betrag erhöht sich, wenn Mitarbeiter Kinder haben. Lehrlingen wird zugesichert, dass sie ihre Ausbildung in anderen Werken des Konzerns beenden können. Auch Mitarbeiter, die bei Aryzta bleiben wollen, werden bei Einstellungen in anderen Filialen bevorzugt und erhalten eine Umzugsbeihilfe.
Viele Beschäftigte, räumt Hentschel ein, werden die Klausel freilich nicht in Anspruch nehmen. Eisleben etwa, wo Aryzta ein einst vom Klemme-Konzern gebautes Werk betreibt, ist 180 Kilometer entfernt, viel zu weit zum Pendeln. Zugleich seien die meisten Fricopaner nicht mehr ganz jung und würden »Haus, Hof und Familie nicht so einfach verlassen«, sagt Hentschel. Deshalb ist auch fraglich, ob Jobofferten von Schäfer oder Lieken angenommen werden. Diese produzieren wie Fricopan tiefgefrorene Backwaren - ersterer in Osterweddingen, letzterer in Wittenberg. Lieken siedelte sich im Jahr 2015 mit finanzieller Hilfe des Landes in der Lutherstadt an. Pikant sind die Parallelen zu Aryzta: Das Unternehmen gab faktisch zeitgleich sein Werk in Weißenfels im Süden des Landes auf. Die Branche, hatte Höppner kürzlich kritisiert, scheine sich auf Landeskosten zu sanieren und zu modernisieren.
In ihrer Heimat allerdings müssen die Fricopaner - um einen schlechten Kalauer zu bemühen - wohl kleinere Brötchen backen. Zwar heißt es in der Arbeitsagentur, es gebe auch in der Region im Norden von Sachsen-Anhalt ausreichend freie Stellen. Diese fänden sich aber, wie Hentschel relativiert, in anderen Branchen - und in der Regel auch zu wesentlich schlechteren Konditionen: Statt Tariflohn zu erhalten, werden »viele wieder beim Mindestlohn von 8,50 Euro landen, weniger Urlaub bekommen und sicher zunächst auch nur befristet eingestellt«, sagt die Betriebsratschefin, die auch fürchtet, dass es sich bei etlichen Angeboten um Zeitarbeit handelt. In welchen Berufsfeldern es Jobs gebe, dazu habe sich die Agentur bisher nicht geäußert. Anzunehmen sei aber, dass es »um artfremde Arbeit etwa in der Pflege geht«.
Manche liebäugeln vielleicht auch mit der Möglichkeit, in ihren bisherigen Betrieb zurückkehren zu können. Für den Standort Immekath gebe es mehrere Interessenten, heißt es im Ort. Backwarenhersteller freilich würden das Werk nicht kaufen dürfen - das hatte Aryzta ausgeschlossen. Sie halte es durchaus für denkbar, dass in den Hallen irgendwann wieder produziert wird, sagt Hentschel. »Aber 500 Leute«, fügt sie hinzu, »wird man hier wohl auf keinen Fall wieder benötigen.«
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