Pfiffe, Buhrufe, Tränengas: Olympia ist eröffnet

Tausende demonstrieren gegen brasilianische Regierung und die Spiele / Flüchtlingsmannschaft zieht umjubelt ins Maracana ein

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Rund um die Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro ist der Unmut vieler Brasilianer gegen Interimspräsident Michel Temer nicht zu überhören: Seine Eröffnungsansprache der Wettkämpfe wurde so laut ausgepfiffen, dass seine Worte kaum zu hören waren. Unmittelbar danach wurde laute Musik eingespielt. Aus Angst vor Pfiffen der rund 50.000 Zuschauer im Maracanã-Stadion war schon zu Beginn der Zeremonie und bei einer Ansprache von IOC-Präsident Thomas Bach auf eine Begrüßung des 75 Jahre alten Temer verzichtet worden.

Die Feier der in dem von sozialen Konflikten, einer Staatskrise und Korruption gezeichneten Land umstrittenen Sport-Spiele fand unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Rund um das Stadion waren am Freitagabend bewaffnete Soldaten und Polizisten im Einsatz. Kurz vor der Eröffnung hatte es erneut Proteste gegen die Spiele gegeben. Mehrere tausend Menschen demonstrierten in Rio gegen das Sport-Großereignis. Mit Schildern, auf denen die Forderung »Nein zu den Olympischen Spielen« zu lesen war, versammelten sie sich vor dem Luxushotel Copacabana Palace, wo viele Sportler wohnen. Unter den Augen zahlreicher Hotelgäste machten die Demonstranten ihrem Ärger über das Milliardenspektakel. Brasilien hat für die Ausrichtung der Spiele rund zehn Milliarden Dollar (rund neun Milliarden Euro) ausgegeben. Das Land steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Erwerbslosen- und Inflationsraten sind hoch.

Noch unmittelbar vor Beginn der Eröffnungsfeier hatte die Polizei einen Protestmarsch rund zwei Kilometer vor dem Stadion unter Einsatz von Tränengas gestoppt. Temer wird vor allem von der Linken in Brasilien vorgeworfen, im Kongress Bündnisse mit der bisherigen Rechts-Opposition geschmiedet zu haben, um Mehrheiten für die Amtsenthebung der Mitte-Links-Präsidentin Dilma Rousseff zu erreichen. Rousseff äußerte sich via Twitter tief enttäuscht darüber, nicht bei der Eröffnungsfeier im Stadion sein zu können. »Ich bin traurig, dass ich die Feier nicht live und direkt sehen kann«, schrieb sie.

Während Temer gnadenlos ausgebuht wurde, erhielt trotz der vielen Skandale um das Internationale Olympische Komitee dessen Präsident Bach im Maracana mehrfach Beifall. In seiner Eröffnungsrede sprach Bach den Cariocas seine Bewunderung aus: »Wir haben immer an Euch geglaubt.« Er beschwor zudem die olympischen Werte, pries sie als Antwort auf die großen Krisen der Welt und die Probleme der Menschen. »In dieser olympischen Welt sind wir alle gleich«, sagte er. Die mehr als 10.000 Athleten rief er auf: »Achtet die Werte, dank derer die Olympischen Spiele so einzigartig sind!«

Vor dem Einmarsch der diesmal 207 Mannschaften, zu denen ein umjubeltes, zehnköpfiges Flüchtlingsteam gehörte, herrschte bei der insgesamt als dezent bewerteten Eröffnungsshow ausgelassene Partystimmung bei den Zuschauern. »Gambiarra« hieß das Motto - aus nichts das Meiste rausholen. Zugleich war der Auftakt der Zeremonie eine Hommage an die Erde, mehrfach wurde darauf verwiesen, welche Folgen die Zerstörung der Natur für den Menschen haben wird. Damit hielten die Macher der Show ihrem Land den Spiegel vor: In Brasilien wird täglich Regenwald großflächig vernichtet, keines der Umweltversprechen für Olympia wurde erfüllt, etwa die Reinigung der Guanabara-Bucht.

Die deutsche Mannschaft marschierte hinter Fahnenträger Timo Boll als »Alemanha« und gemäß dem portugiesischen Alphabet damit als fünfte Delegation ein. Die deutschen Athleten, bedacht mit großem Beifall vom Publikum, überraschten mit eigenartigen Outfits: Sie trugen unter anderem Regenmäntel und eine Art lange Unterhose zu Röcken und Shorts. Mit 423 Sportlern ist die deutsche Mannschaft die drittgrößte hinter den USA (549) sowie Brasilien (465), das sich kurz vor der Eröffnung einem bösen Verdacht ausgesetzt sah: Nach Angaben der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA haben das brasilianische Sportministerium und das NOK die Top-Athleten des Landes zuletzt nicht mehr getestet.

Weniger Staats- und Regierungschefs als sonst waren Augenzeuge der Zeremonie. Bundespräsident Joachim Gauck hatte seine Reise nach Rio wegen einer Zahnerkrankung kurzfristig absagen müssen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama waren nicht gekommen. »Die brasilianische Seele wird die Welt begeistern«, versprach Carlos Arthur Nuzman, Präsident des Organisationskomitees, in seiner Rede. Agenturen/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.