Schaltet die Linke den Pariser Klima-Turbo?
Eva Bulling-Schröter streitet mit Alberto Acosta über die Rolle der Linken im Kampf gegen den Klimawandel
Ich will gleich fragend mit der Tür ins Haus fallen. Ein Blog von einer Parlamentarierin zu Klimaschutz und Ökologie? Klimaschutz und Ökologie bei der Linken? Und dann noch im Wechsel mit einem Öko-Latino aus Ecuador? Gut ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass ich an dieser Stelle von der Pariser Klimakonferenz berichtet habe. Am Anfang war ich ehrlich gesagt skeptisch, ob die Perspektive einer linken Bundestagsabgeordneten auf den sehr technisch geführten UN-Klimaprozess die Leserschaft überhaupt interessiert. Erstaunlich viele LeserInnen des »Neuen Deutschland« haben den Blog von der COP21 dann dennoch über eine Winterwoche lang verfolgt.
Geschrieben habe ich damals von langen Verhandlungsnächten im Pariser Vorort Le Bourget und dem Kampf um Vertragstext-Klammern. Vom Ringen zwischen reichen und mächtigen Industriestaaten und Ländern des globalen Südens um eine faire Verteilung der Klimaschuld. Über Milliarden von US-Dollar an Klimageldern, die ab 2020 in die Energiewende und in Klimaanpassung in Afrika, Asien und Lateinamerika fließen sollen. Auch zur innenpolitischen Lage in Frankreich, wenige Wochen nach dem islamistischen Terrorabend im Bataclan und die Nachtschwärmer in den Pariser Cafés. Auch über die Verfolgung von Klimaaktivisten durch Frankreichs Sicherheitsbehörden, über den Aufschwung der Front National bei den Regionalwahlen gab es einige Zeilen. Am Schluss des Blogs »Pariser Verhältnisse« stand schließlich das »Endgame« des Paris-Krimis, dessen Verhandlungsschlusspunkt die historische Einigung der Staatenwelt setzte: Die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts nicht über 2 Grad Celsius zu lassen. Dazu der Jubel der Inselstaaten, auch 1,5 Grad anzupeilen, weil sonst ganze Nationen im Meer versinken. Die Freudentränen der deutschen Umweltministerin. Und natürlich das Versprechen der parlamentarischen Linken, das Abkommen den Mächtigen immer und immer wieder unter die Nase zu reiben. Dieses Versprechen will ich als linke Klimapolitikerin halten. Darum jetzt also die Fortsetzung, alle zwei Wochen ein Text. Im »nd«, das ja auch Ort linker Debatten ist.
Das Pariser Klimaabkommen wurde mittlerweile durch das Kabinett der Bundesregierung gebilligt. Seine Ratifizierung soll noch dieses Jahr durch Bundestag und Parlament gehen. Der vielbeschworene »Esprit de Paris« soll im Blog als Blaupause für eine Diskussion dienen. Welche »Rezepte« hat linke Öko-Politik für Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Gewerbe? Nicht nur, um den Klimawandel aufzuhalten, sondern auch um Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie zu ermöglichen. Linke stellen sich diese Fragen in Deutschland, in Europa, in Ecuador und anderswo.
Was im Blog bitte nicht passieren soll ist das Parteiprogramm der LINKEN runterzuspulen. Viel eher ist an dieser Stelle auch Selbstkritik angesagt: Ist die Linke, eingebaut im parlamentarischen Alltag, überhaupt (noch) die richtige Akteurin die Mächtigen zu kritisieren? Auch DIE LINKE. als Partei gehört zu den Mächtigen. In Thüringen, in Brandenburg, vielleicht bald (wieder) im Senat der Berliner Hauptstadt, in vielen Kommunen.
Skepsis über den linken Ökokurs ist durch die Verstrickung im Bestehenden durchaus angebracht. Schon die Überschrift dieses Beitrages legt sprachliches Zeugnis ab über die Misere linker Ideologie im Umgang mit Mensch und Natur. »Einen Turbo starten«, das sind Maschinen, das ist Mechanik, das ist was Automatisches. Was ich in vielen Diskussionen, sei es mit BürgerInnen, im Bundestag, in der Fraktion, auf Parteitagen oder in Gesprächen mit GewerkschafterInnen beobachte: Der Glaube an den Fortschritt, an die Unterwerfung der Natur unter den Menschen, an die Technik als Befreiung von Armut, Not und Unmündigkeit hat seine Krallen tief in unser Denken und unsere Sprache geschlagen.
Für die kommenden Blog-Texte will ich nicht vorausgreifen. Nur das sei vorausgeschickt: Nein, wir werden den Hebel für ein besseres Klima nicht einfach umlegen können. Es wird nicht das Elektro-Auto sein, das uns aus dem kapitalistischen Schlamassel von Rohstoffraubbau und Luftverschmutzung rausfährt. Nicht das Windrad allein bringt die Revolution. Kein rechtliches Abkommen wie der »Accord de Paris« kann das Klima retten. Gutes steht auf dem Papier, na klar, unbestritten. Aber reicht das?
Unklar bleibt, wie die Umsetzung des Weltklimavertrages wirklich aussieht. Und ob die Zeit reicht, ein katastrophales Umkippen des Weltklimas abzuwenden. Wir müssen uns vor Augen führen: Allein ein Gesetz, wie verbindlich oder unverbindlich auch immer seine Vorgaben sind, wird nicht wie ein elektrischer Schalter funktionieren, der uns »klick«, von »Öko-Pfui« auf »Öko-Hui« umpolt.
Und der Gegenwind für Klimaschützer weht auch nach Paris weiter. »Ihr Öko-Hippies, ihr denkt ja gar nicht ans Soziale, euer Kohleausstieg vernichtet nur Jobs, unseren Wohlstand«. Das ist ein alter Vorwurf, gerade haben wichtige CDU-Politiker ihn wieder aus der Klamottenkiste geholt. Es drohe durch den Klimaschutzplan 2050 der Regierung »Klimaplanwirtschaft« und damit die »Deindustrialisierung«. Ängste sind in neoliberalen Zeiten von Turbo-Kapitalismus, Profitjagd und steigender Armut auch in Deutschland nicht ganz unangebracht. Auch die Flüchtlingsfrage ist eine Klimafrage. Schon heute sorgt der Klimawandel für Flüchtlinge, heizt Bürgerkriege vor den Toren Europas an, lässt Millionen Menschen in die Städte fliehen. Aber immer Auge auf, wer die Ängste anspricht.
Wie heftig der (vermeintliche) Widerspruch zwischen Ökologie und Sozialem ausgetragen wird, davon wird uns Alberto Acosta anhand der »ecuadorianischen Erfahrung« mit linker Politik, Umweltschutz und dem, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht, näher bringen. Wir haben uns auf der Klimakonferenz in Lima im Dezember 2014 kennengelernt. Darum geht es: Auf das wir alle voneinander lernen. Schaltet die Linke den Pariser Öko-Turbo? Dieser Titel-Frage möchte ich das Motto der mexikanischen Zapatisten an die Seite stellen, die den Weg für eine gerechtere Welt zu Fuß, nicht im Auto zurücklegen: »Preguntando caminamos! Fragend schreiten wir voran!«
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