Spieler als Türöffner
Warum gerade die Unterhaltungsindustrie die Akzeptanz für neue Technik fördert
Schaut man auf das Angebot, welches die Großen der Unterhaltungsindustrie und speziell die Spielespezialisten von Sony und Microsoft zur Spielemesse Gamescom in Köln im Angebot haben, dann ist folgende Prognose keine Übertreibung: Der spielende Nerd mit dem Steuergerät auf dem Sofa gehört zu einer langsam aussterbenden Art. Der Grund: Der Fernseher wird als Abspielplattform unwichtiger; Virtuelle Realität, abgebildet auf dem Bildschirm einer Brille, ist der Trend, auf den die Branche setzt.
Eine ähnlich euphorisierte Aufbruchstimmung hatte es in der Spieleszene zuletzt gegeben, als der japanische Hersteller Nintendo ein neues Steuerungskonzept mittels Bewegungssensoren vorstellte. Zwar ist dieser Erfolg bereits zehn Jahre her, doch er war prägend für die gesamte Branche. Die Konkurrenz zog rasch nach, was die technische Weiterentwicklung des Spielens ohne klassische Fernbedingung anging, und überflügelte die Erfinder von Klassikern wie Super Mario und Zelda. Dabei gehört eine abwartende Haltung durchaus zu Nintendos Strategie: Zuerst müsse sich eine neue Technologie als tauglich für den Massenmarkt erweisen, erklärte Nintendo-Chef Reggie Fils-Aimé im Juni gegenüber den Wirtschaftsnachrichten von Bloomberg.
Während Microsoft und Sony für ihre neue Konsolengeneration ganz auf die virtuelle Brillentechnik bauen, wartet Nintendo einerseits ab, setzte allerdings mit dem viel beachteten Spiel Pokémon Go eigene Akzente. Anders als bei den VR-Brillen geht es hier um eine »erweiterte Realität«, das heißt, der realen Umgebung werden mittels computergestützter Technik neue Inhalte hinzugefügt. Wer dieser Tage durch die Innenstädte läuft und Gruppen 10- bis 40-Jähriger mit dem Smartphone in der Hand begegnet, kann sich sicher sein: Hier ist jemand auf der Jagd nach virtuellen Monstern.
Dass Pokémon Go solch ein Erfolg wurde, hat mit dem simplen Umstand zu tun, dass die Technik für ihre Anwender bezahlbar ist. Das Spiel selbst ist gratis, ein Smartphone mit Ortungsfunktion via GPS-Satelliten längst in vielen Hosentaschen Standard. Ganz anders dagegen verhält es sich (noch) mit der VR-Brille: Einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge ist der Preis wie so oft der Knackpunkt für die Einführung einer neuer Technik. Der optimale Preis für eine Brille liegt demnach bei etwa 78 Euro, die Schmerzgrenze bei etwa dem Doppelten.
Daran dürften viele Hersteller knabbern: Sonys Playstation VR soll 400 Euro kosten, die Oculus Rift, an der Microsoft mittüftelt, sogar 700 Euro. Einzig der Elektronikkonzern Samsung kann mit seiner Gear VR (etwa 100 Euro) die Erwartungen treffen, ist in den technischen Möglichkeiten durch die zwangsweise Koppelung an ein passendes Smartphonemodell aber begrenzt.
Allerdings zählt die Spielerszene zu jener Käufergruppe, die überdurchschnittliches Interesse an neuer Technik zeigt und die somit als Türöffner gilt. Deshalb verwundert es auch nicht, dass laut der PwC-Erhebung fast die Hälfte aller Spieler in Deutschland angibt, am Kauf einer VR-Brille interessiert zu sein. In der Gesamtbevölkerung ist es dagegen bisher nicht einmal jeder Fünfte. »Ich gehe davon aus, dass ›Virtual Reality‹ bereits in zehn Jahren den Massenmarkt erobert haben wird«, schätzt Werner Ballhaus von PwC Deutschland.
Ohnehin dürfte der Spielemarkt dabei helfen, die Akzeptanz der VR-Technik im Alltag deutlich zu steigern. Die denkbaren Möglichkeiten reichen weit über virtuelle Gamerwelten hinaus. So wurde im vergangenen Jahr bekannt, dass mit den New Deal Studios in den USA das erste große Hollywoodstudio an Filmen und Serien für die Virtuelle Realität arbeitet. Selbige Produzenten tummeln sich auch im Bildungssektor: So liegt seit dem vergangenen Jahr die Demoversion einer Anwendung vor, mit der sich mittels VR-Brille die Mondlandung von Apollo 11 aus einer 360-Grad-Rundumblickperspektive erleben lässt. Hersteller Immersive VR Education verspricht, damit werde Geschichte »tatsächlich erlebbar«.
Auf der Gamescom indes wird es hauptsächlich um Spieleanwendungen für Virtuelle Realität gehen. Bei Sony lässt sich die neue Technik an 50 Stationen ausprobieren. Die Größenordnung ist auch nötig, denn auf der Messe werden etwa eine halbe Million Besucher erwartet. Jenes Zielpublikum, das mit darüber entscheidet, wie schnell die VR-Technik im Alltag ankommt.
Übrigens: Neuheiten für den klassischen PC- und Konsolenzocker gibt es in Köln auch zu entdecken. Er hat mit Sicherheit noch ein paar Jahre Gnadenfrist.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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