Den Helfern gegen das Schienbein getreten

Israels Verteidigungsminister Lieberman bremst das freiwillige Engagement der Wehrdienstleistenden / Beifall vom rechten Rand

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.

Hinter grauen Mauern, die Straße davor mit Unrat gepflastert, ist die Bialik-Rogozin-Schule im Süden von Tel Aviv ein Ort, der Träume anregt: Mitten in einem der ärmsten Viertel Israels, unweit der zentralen Busstation mit ihrer hohen Verbrechensrate und den Drogenproblemen, leisten Lehrer und Freiwillige Tag für Tag eine Arbeit, mit der das Bildungsministerium in Jerusalem gerne angibt: Zehn Jahre, nachdem die Schule aus Geldgründen fast geschlossen worden wäre, sind Notenschnitt und Abbrecherquote besser als der nationale Durchschnitt. Nur acht Prozent der Absolventen fanden in den vergangenen fünf Jahren länger als sechs Monate nach ihrem Abschluss weder einen Arbeits- noch einen Studienplatz. »Und das, obwohl mehr als 1000 unserer Schüler unter den denkbar schlechtesten Bedingungen ins Leben starten«, sagt Schulleiter Eli Nechama. »Sie sind die Kinder von Flüchtlingen, bei denen der Aufenthaltsstatus oft ungeklärt ist. Wir versuchen, ihnen einen Perspektive zu bieten, ein Zuhause.«

Offiziellen Statistiken zufolge leben in Israel derzeit 47 000 Flüchtlinge, die fast ausschließlich aus Eritrea und Sudan stammen. Doch nun haben Erfolgskonzepte wie jenes in Tel Aviv Gegenwind erhalten: Soldaten sollen sich künftig nicht mehr in Projekten für Flüchtlinge und deren Kinder engagieren - so hat es Verteidigungsminister Avigdor Lieberman jetzt verfügt. Wehrdienstleistende, die ehrenamtlich arbeiten, erhalten dafür Vergünstigungen vom Militär. Meist leisten ganze Einheiten gemeinsam den Freiwilligendienst. Im Fall der Bialik-Rogozin-Schule ist es die Eliteeinheit Sajeret Matkal.

Bislang rühmte sich das Militär in seinen Publikationen mit den helfenden Soldaten - bis sich vor einigen Wochen Bürger aus der Nachbarschaft darüber beschwerten. Bilder von Soldaten, die mit afrikanischen Kindern spielen, machten im Internet die Runde. »Ich fühle mich betrogen, wenn ich diese Bilder sehe«, sagt Maya Golan, die den Protest initiiert hat. Viele Einwohner der Gegend machen die Migranten für die hohe Verbrechensrate verantwortlich, obwohl nach Angaben der Polizei die Kriminalität von Flüchtlingen nicht höher ist als jene ihrer israelischen Nachbarn.

»Nächstenliebe fängt zu Hause an; die Soldaten sollen sich lieber um Überlebende des Holocausts kümmern«, begründete Lieberman seine Anordnung. »An Freiwilligen mangelt es nicht«, kontert die Vereinigung für die Soforthilfe von Holocaust-Überlebenden. »Aber es wird mehr Geld gebraucht, um die brutale Armut zu lindern, in der sich viele der 180 000 Überlebenden in Israel heute befinden.« Und auch in der Politik hat die Entscheidung nur am rechten Rand der Siedlerpartei Jüdisches Heim und in Liebermans ultrarechter Partei Jisrael Beitenu sowie bei den Ultraorthodoxen von Schas Freunde. Jael Gwirtz von der Unterstützergruppe Elifelet, die die Freiwilligen zu den Flüchtlingskindern schickt, weist indes darauf hin, dass ein erheblicher Teil von ihnen mittlerweile die israelische Staatsbürgerschaft oder eine Anwartschaft darauf besitzt, weil sie im Land geboren sind.

Abgesehen davon gibt es in Israel kein Asylrecht, weshalb Flüchtlinge die Grenze nur illegal überqueren können. Nach Ankunft kann ein Antrag auf Anerkennung als Flüchtling gestellt werden. Aber: Von allen Anträgen seit 2009 wurden bis 2014 nur fünf genehmigt. Und das, obwohl 70 Prozent der Israelis laut Umfragen für ein Asylrecht sind.

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