- Politik
- Sondersitzung des Bundestages
Bundestag im Mantel der Geschichte
Union und SPD warben im Parlament für ihr Mega-Finanzpaket für Militär und Infrastruktur
Ein »Doppel-Wumms« neuen Typs, wie es Noch-Kanzler Olaf Scholz vielleicht ausgedrückt hätte, könnte am Dienstag beschlossen werden. Eine Grundgesetzänderung zwecks Lockerung der Schuldenbremse allein für die »Verteidigung« sowie für einen kreditfinanzierten Sonderhaushalt zur Sanierung maroder Infrastruktur soll die letzte Amtshandlung des 20. Bundestags werden. Erst eine Woche später wird das am 23. Februar gewählte neue Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten.
Es geht um die Schaffung der Möglichkeit zu einer nie dagewesenen Neuverschuldung des Bundes zugunsten der »Verteidigungsfähigkeit« einerseits und der Ertüchtigung maroder Infrastruktur andererseits. Insgesamt käme für beide Bereiche fast eine Billion Euro zusammen. Um dies und vor allem die Kehrtwende der CDU unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, die bisher jede Lockerung der Schuldenbremse ausgeschlossen hatte, plausibel zu machen, scheuten er und die Vertreter der SPD am Donnerstag im Bundestag vor keiner noch so großen Metapher zurück.
Ihre Pläne erklärten sie mit einer historisch einmaligen Situation. Die Absage von Russlands Präsident Wladimir Putin an eine Waffenruhe mit der Ukraine am selben Tag nutzten sie, um ihre Pläne als alternativlos darzustellen und an die staatspolitische Verantwortung insbesondere der Grünen zu appellieren, mit denen zusammen Union und SPD im »alten« Bundestag noch eine Zweidrittelmehrheit zusammenbekommen würden.
Die Grünen allerdings pochten darauf, dass zunächst nur die Lockerung der Schuldenbremse fürs Militär beschlossen wird, und zwar so, wie sie selbst diese in einem eigenen Gesetzentwurf vorgeschlagen haben. Dieser sieht zusätzliche Kredite für Militärausgaben erst dann vor, wenn diese 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Union und SPD wollen, dass dies bereits ab mehr als einem Prozent des BIP ermöglicht wird. Die Grünen fordern also, dass mehr aus dem laufenden Haushalt und unter Einhaltung der Schuldenbremse finanziert wird. Einig sind sie sich mit den künftigen Regierungsparteien darüber, dass es nach oben keine Grenze geben soll.
»Wenn die Geschichte anklopft, dann muss man die Tür öffnen, weil man nie weiß, ob es eine zweite Chance gibt.«
Lars Klingbeil SPD-Partei- und Fraktionschef
Zugleich sieht der Gesetzentwurf der Grünen vor, dass auch Aufwendungen für die Arbeit der Geheimdienste, für die militärische Unterstützung »angegriffener Staaten« und der Zivil- und Bevölkerungsschutz als Verteidigungsausgaben zählen. Dem Sondervermögen für die Infrastruktur ziehen die Grünen eine allgemeine Reform der Schuldenbremse vor, die sie im 21. Bundestag diskutiert und beschlossen wissen wollen.
Was genau am Dienstag beschlossen wird, ist also noch offen. Zudem könnte das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben stoppen, da Linkspartei, AfD und BSW Klagen dagegen in Karlsruhe eingelegt haben. Zum Beginn der Sitzung am Donnerstag scheiterte die AfD mit einem Antrag, die Debatte noch abzusetzen. Scheitern könnte das Vorhaben zudem noch am Bundesrat, der ebenfalls mit zwei Dritteln der Stimmen Ja sagen muss. Für das BSW kündigte dessen Chefin Sahra Wagenknecht im Bundestag an, dass die beiden Länder, in denen ihre Partei an der Regierung beteiligt ist, sich bei der Abstimmung enthalten werden.
CDU-Chef Friedrich Merz versuchte in der Debatte, den Grünen weiter entgegenzukommen. Gelder aus dem geplanten 500 Milliarden Euro großen Infrastruktur-Sondervermögen sollten auch in Klimaschutz investiert werden dürfen, versprach er. So werde man sowohl bei der Verteidigungsfähigkeit als auch bei Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Klimaschutz einen großen Sprung nach vorn machen. »Was wollen Sie noch mehr?«, fragte er, an die Adresse der Grünen gerichtet.
Wie Merz sprach auch SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil von notwendigen historischen Schritten, für die es »eine breite Mehrheit in der Mitte der Gesellschaft« brauche. Man könne es sich nicht leisten, dass die Vorhaben scheitern, denn: »Wenn die Geschichte anklopft, dann muss man die Tür öffnen, weil man nie weiß, ob es eine zweite Chance gibt.« Wenn die Ukraine falle, dann gerate »auch der Frieden in der EU in Gefahr«, so Klingbeil. Daher dürfe sich die Bundesrepublik nicht »von der Aufgabe befreien, Europas Schicksal in die Hände zu nehmen« und die »eigene Verteidigungsfähigkeit so stark machen, dass wir nie wieder Krieg führen müssen«.
Vertreter der FDP nutzten die Gelegenheit für eine Abrechnung mit der CDU. Ex-Finanzminister Christian Lindner warf Merz vor, seine Überzeugungen für das Amt zu opfern. Bei der aktuellen Situation, so Lindner, handele es sich nicht um eine »krisenhafte Zuspitzung, sondern um die neue Normalität«. Die FDP hat einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem sie einen »Verteidigungsfonds« vorschlägt, mit dem das bestehende 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr um weitere 200 Milliarden Euro aufgestockt werden soll.
Der Linke-Politiker Christian Görke kritisierte die Pläne als »wahnsinnige Flatrate für das größte Aufrüstungsprogramm«, das die Bundesrepublik je erlebt habe. BSW-Gründerin Wagenknecht sprach von einem »grenzenlosen schuldenfinanzierten Aufrüstungsrausch« und von »unbegrenzten Kriegskrediten für einen deutschen Militarismus«. Mit Blick auf das verfassungsrechtlich fragwürdige Vorgehen von Union und SPD mahnte sie: »Ehe Sie die Demokratie in aller Welt verteidigen, sollten Sie zusehen, dass sie im eigenen Land nicht vor die Hunde geht.« Vor der Plenardebatte hatte sie erklärt, es gehe bei dem Paket darum, »Deutschland kriegstüchtig zu machen, und zwar nicht verteidigungsfähig, sondern angriffsfähig«.
Heidi Reichinnek betonte für Die Linke die demokratiepolitische Fragwürdigkeit der Vorhaben von Union und SPD. Zugleich kritisierte sie erneut die Forderungen der Grünen. Ihr Vorschlag, die Militärausgaben erst ab 1,5 Prozent des BIP über neue Schulden zu finanzieren, gehe zulasten von Sozialetat und Klimaschutz. Eine Reform der Schuldenbremse werde die Union »nicht unterstützen, wenn sie von Ihnen jetzt schon einen Blankoscheck für ihr Aufrüstungsprogramm bekommt«. Die Abschaffung der Schuldenbremse sei aber nötig, damit es »auch Geld für Soziales gibt und nicht nur für Aufrüstung«. Hierfür sicherte Reichinnek den Grünen die Kooperation ihrer Partei zu.
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