Mit Klappstuhl oder Krawatte
Fachbesucher, Fans und Firmen treffen sich auf der größten deutschen Computerspielemesse
Schon gut eineinhalb Stunden vor Beginn des Einlasses bildeten sich hunderte Meter lange Schlangen, durch Lautsprecher wiederholen sich Ansagen, dass es keine Tagestickets mehr gebe, man sich aber für die ab 14 Uhr gültigen Nachmittagstickets anstellen könne. Sich für ein Nachmittagsticket anzustellen, ist für die meisten Besucher der Gamescom - der bedeutendsten deutschen und auch international immer relevanter werdenden alljährlichen Messe für Computerspiele - nicht so attraktiv. Tim und seine Freunde, die aus Koblenz angereist sind, werden es trotzdem versuchen. Der 16-Jährige erklärt, das sei »Mist«, denn am Nachmittag seien die Schlangen an den Ständen der großen Hersteller schon zu lang.
Noch bis Sonntag ist die Gamescom geöffnet, am Mittwoch ließen die Tore nur Fachpublikum ein, seit Donnerstag können Gaming-Fans sich - im messeverträglichen Rahmen - austoben. Der Bundesverband interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU) rechnet nach 345 000 Besuchern im Jahr 2015 dieses Jahr mit bis zu 500 000 Besuchern.
Tim will sich bei »Battlefield 1« anstellen - einer Kriegssimulation, die es seit dem Jahr 2002 gibt. Die aktuelle Ausgabe, die im Oktober erscheinen soll, führt die Spieler in den Ersten Weltkrieg. Frühere Teile spielten im Zweiten Weltkrieg, im Vietnamkrieg oder in halbfiktiven Gegenwartskonflikten. Wer Krieg nicht nur am Computer spielen will, kann sich auch bei der Bundeswehr über die »digitalen Kräfte« informieren und im Spähpanzer Probe sitzen. Der Stand ist wie jedes Jahr umstritten, vor dem Messegelände finden täglich Protestaktionen unter dem Motto »It’s not a Game« statt.
Wer den Einlass passiert hat, läuft schnell zu seinem Favoriten. Um Blockbuster wie »Battlefield 1«, die Fußballsimulation »Fifa 17« oder den Strategieklassiker »Civilization 6« bilden sich früh lange Schlangen. In der »Civilization«-Schlange sitzen auch Steffi und ihr Freund David. Sie haben Klappstühle und Wasser mitgebracht. Beide sind Anfang 30 und Fans des Strategiespiels. Den letzten, vor zwei Jahren erschienen Teil mochten sie nicht, er spielte nicht auf der Erde. Das »letzte echte Civ« sei schon sechs Jahre alt, sagt Steffi. Das sei eine halbe Ewigkeit, deswegen wollen sie den neuen Teil ausprobieren. Auch wenn das nur 20 Minuten lang möglich sei.
Die Hallen mit den Spieleriesen sind bombastisch, die »Messestände« oft mehrstöckig, an jeder Ecke hängen große Bildschirme, auf denen Spielszenen zu sehen sind. Die Hersteller veranstalten Shows, bei denen bekannte Entwickler von den Neuerungen erzählen oder bei denen E-Sportler gegeneinander antreten. Das professionelle Computerspielen gegeneinander gehört zu den Wachstumsmärkten in Deutschland. Bei großen Turnieren füllt man mittlerweile Stadien, und die Fußballbundesligaclubs Schalke 04 und VFL Wolfsburg sind in den letzten Monaten in dem Bereich aktiv geworden.
Der zweite große Trend der Messe ist die virtuelle Realität (VR) - angetrieben vom Hype um »Pokémon Go« bieten alle großen Anbieter VR-Produkte an. Zum Verkaufsschlager sollen dabei die Virtual-Reality-Brillen werden, die beispielsweise Sony für seine Playstation auf der Messe vorstellte und ausprobieren ließ. Die Hersteller spekulieren bei den Brillen darauf, dass diese über Spiele den Einzug in die Wohnzimmer finden. Weitere Nutzungsmöglichkeiten sind laut dem Branchenverband BIU Filme und Serien, virtuelle Rundgänge in Museen oder Onlineshopping.
Die Gamescom ist nicht nur ein bombastisches Event für Spieler, sondern auch das zentrale Treffen der Branche in Deutschland. In der so genannten Business Area ist es nicht dunkel und laut wie in den Eventhallen, sondern hell und leise. Alle namhaften Unternehmen der Branche haben Stände aufgebaut, in kleinen Abteilen werden Partnerschaften vereinbart und Verträge geschlossen. Hier ist niemand kostümiert oder trägt T-Shirts mit Robotern oder Panzern drauf; der Anzug mit Krawatte dominiert. Von der Politik wünscht sich der BIU mehr Unterstützung für die Branche, Deutschland stehe als »Entwicklungsstandort« schlecht da, in anderen EU-Ländern gebe es Förderprogramme, diese seien auch in der Bundesrepublik notwendig, heißt es.
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