Vor dem Aus
Dilma Rousseff muss sich vor Tribunal im Senat verantworten
Kaum sind die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vorbei, steht in der Politik der Showdown im Kampf um die Präsidentschaft an. Fast neun Monate nachdem der inzwischen wegen Korruption abgesetzte Parlamentspräsident Eduardo Cunha das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff auf den Weg brachte, steht die endgültige Abstimmung bevor. Die Mehrheitsverhältnisse sprechen dafür, dass nach 13 Jahren die Serie von Mitte-Links-Regierungen der Arbeiterpartei PT beendet wird. Die Konservativen sitzen frohlockend in den Startlöchern, soziale Bewegungen und Gewerkschaften sprechen von einem Staatsstreich. Die Mehrheit der Brasilianer scheint eher teilnahmslos zuzuschauen, was angesichts des Ausmaßes der politischen und wirtschaftlichen Krise verwunderlich ist. Grund ist weniger der aufkommende Olympia-Kater, eher allgemeiner Politikverdruss.
Die endgültige Phase des Impeachment-Verfahrens, in dem definitiv über die Schuldfrage entschieden wird, beginnt am 25. August. Darauf einigten sich der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Ricardo Lewandowski, der das Verfahren leitet, mit Senatspräsident Renan Calheiros. Übergangspräsident Michel Temer bat um Eile. Zum G20-Gipfel in China Anfang September will er bereits als legitimes Staatsoberhaupt reisen. Bisher wird der umstrittene Politiker, der unter Rousseff als Vize amtierte und weder Charisma noch politisches Profil besitzt, auf internationaler Bühne eher gemieden - so auch bei der Olympiaeröffnung Anfang August, die ihm ein gellendes Pfeifkonzert bescherte.
Die letzte Etappe wird weniger spektakulär werden als die teils sehr theatralischen Parlaments- und Senatsabstimmungen vor Rousseffs vorübergehender Suspendierung im Mai. Es ist de facto ein Gerichtsprozess, bei dem nur der Vorsitzende Jurist ist und alle Richter Politiker. Es geht um zwei Vorwürfe: Rousseff soll am Kongress vorbei Kredite bewilligt und mit Haushaltstricks die ernste Finanzlage verschleiert haben. Zuerst haben Ankläger und Verteidiger das Wort. Dann werden Zeugen beider Seiten gehört. Die 81 Senatoren können Fragen stellen oder von ihrem Rederecht Gebrauch machen. Sollten zwei Tage nicht reichen, wird am Wochenende weiter verhandelt.
Am Montag wird Rousseff persönlich erscheinen und ihr Amt verteidigen. Überraschungen werden nicht erwartet, sie wird das unterstreichen, was sie kürzlich in einem offenen Brief schrieb: dass sie zwar Fehler gemacht, aber keine Verbrechen begangen habe - was aber Voraussetzung für die Amtsenthebung ist. Dass das Verfahren entgegen den Regeln ein Politisches ist, in dem ihr wegen ihrer Überzeugungen, nicht wegen der formulierten Vorwürfe der Prozess gemacht wird. Dass der eigentliche Grund des Verfahrens die Angst ihrer Kritiker vor Korruptionsermittlungen ist, weil ihre Regierung im Gegensatz zur Berichterstattung in der Mainstreampresse die Justiz in ihrem Vorgehen gegen Korruption unterstützte. Rousseff wird kühl argumentieren, so wie es stets ihr Regierungsstil war. Dass Temer ein Verräter und seine Ernennung zum Vizepräsidenten ihr wohl größter Fehler gewesen sei, wird Rousseff wohl nicht wiederholen.
Danach wird es eine letzte Aussprache geben, bevor der Senat voraussichtlich am 31. August zum letzten Mal über das politische Schicksal der ersten Frau im höchsten Staatsamt Brasiliens abstimmt. 54 Senatoren müssen gegen Rousseff stimmen, dann wird Temer bis Ende 2018 ihr Amt ausfüllen. Bei der letzten Abstimmung Anfang August über die Anklageerhebung kamen die Gegner Rousseffs auf 59 Stimmen. Ein Großteil ihrer früheren Regierungskoalition war im April zur Opposition übergelaufen und bildet jetzt die Basis der Regierung Temer, allerdings mit einem vollkommen entgegengesetzten Regierungsprogramm.
Rousseffs Versuch, die politische Krise mit einem Referendum über vorgezogene Neuwahlen zu lösen, scheiterte. Die Rechte will die fast gelungene Machtübernahme nicht gefährden, aber auch in der PT selbst gibt es Vorbehalte - Wahlen bei der jetzigen Stimmungslage könnten für sie dramatisch ausgehen. Zudem stehen im Oktober bereits Regionalwahlen an, also ein erster Test, wie der Machtwechsel in der Bevölkerung ankommt.
Temer ist heute in Umfragen ähnlich unbeliebt wie seinerzeit Rousseff. Auch seine Regierung weckt wenig Vertrauen, zumal ein erheblicher Teil des ausschließlich aus weißen Männern bestehenden Kabinetts nach Meinung der Staatsanwaltschaft in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras verwickelt ist. Sollte er im September freie Hand bekommen, den Rechtsruck in allen Politikbereichen fortzusetzen, dürfte bald auch der Widerstand noch stärker werden. Vor allem die Einschnitte in Sozialprogramme, aber auch die geplante Rentenreform und Arbeitsrechtsreform zu Lasten der Ärmeren sind kaum dazu geeignet, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen.
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