Machtprobe im Kinosaal
Museum »Runde Ecke« in Leipzig will frühere Räumlichkeit der Stasi nicht räumen
Der Kinosaal ist rappelvoll. Nicht mit Zuschauern, sondern mit Stellwänden, auf denen Akten, Flugblätter und Fotos ausgestellt sind. »Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution« heißt die Sonderausstellung des Museums in der »Runden Ecke«, die seit 2009 in dem Raum mit dem muffigen Charme der 1980er Jahre zu sehen ist: Deckenlampen aus Pressglas, graue, plissierte Vorhänge, Parkett. Der Saal steht unter Denkmalschutz. Es ist die einzige derartige Einrichtung, die sich das Ministerium für Staatssicherheit der DDR einrichtete und die im Original erhalten ist.
Derzeit ist um den Saal ein Machtkampf entbrannt. Die Stellwände mit den Stasi-Akten und die Transparente, auf denen unter anderem »Visafrei bis Shanghey« gefordert wird, sollen entfernt werden; statt dessen soll Mitte Oktober eine Ausstellung eröffnen, in der es unter dem Titel »Was glaubst du denn?« um Muslime in Deutschland geht. Die Schau hat die Bundeszentrale für politische Bildung auf Wanderschaft geschickt; in Leipzig wird sie gemeinsam mit dem Schulmuseum präsentiert, das in zwei Etagen unter dem Kinosaal ansässig ist. Vorgesehen ist auch ein umfangreiches Begleitprogramm. Damit die Ausstellung aufgebaut werden kann, müsste die Revolutionsschau Ende August abgebaut sein. Doch das Museum »Runde Ecke« weigert sich.
Mit der faktischen Besetzung verstößt das Museum gegen Regeln, die 1999 ausgehandelt und 2003 vertraglich fixiert wurden. Demnach soll der Saal von der »Runden Ecke« und dem Schulmuseum abwechselnd genutzt werden. Die Regelung sei aber »faktisch außer Kraft gesetzt«, stellte die Stadtverwaltung jetzt in der Antwort auf einen Antrag der SPD-Fraktion ernüchtert fest. Die hatte gefordert, den Saal für die Ausstellung über Muslime freizugeben. Im von Thomas Fabian (SPD) geleiteten Sozialdezernat teilt man das Ansinnen: Am Nutzungsrecht für das Schulmuseum werde »weiter festgehalten«, heißt es.
Das Problem ist freilich: Die »Runde Ecke« denkt nicht daran, ihre sieben Jahre alte Ausstellung abzubauen - oder, wie Leiter Tobias Hollitzer mehrfach und wohl bewusst martialisch formuliert, sie »abzubrechen«. Man wolle die Schau »langfristig« in dem authentischen Raum belassen, der im übrigen »essentiell« für die Arbeit des Museums zur Aufarbeitung der MfS-Geschichte sei, erklärt er.
Die Weigerung bringt die Stadt und die Verwaltung in eine brisante und missliche Lage. Einerseits stellt sich Leipzig gern als die Stadt dar, von der die friedliche Revolution in der DDR ihren Ausgang nahm; eine Ausstellung zu den Vorgängen im Herbst 1989 ist für dieses Selbstverständnis unabdingbar. Zugleich kann man die faktische Besetzung des Kinosaals zu Lasten des städtischen Schulmuseums eigentlich nicht dulden; es gehe, so schreibt das Sozialdezernat, um die »Rückgewinnung« der Räumlichkeit.
Die aber ist diese Woche zunächst gescheitert. Dem Antrag der SPD hatten Bündnisgrüne, CDU und FDP im Stadtrat einen Änderungsantrag entgegen gestellt, der die Ausstellung zu den Muslimen an einen anderen Ort in der Stadt verlagern möchte. Man wolle »vermeiden, dass zwei wichtige Themen gegeneinander ausgespielt« werden, hieß es. Die SPD zog ihren Antrag auf Freigabe des Saals danach zunächst zurück. Der Stadtrat gab klein bei. Ähnlich lief es schon einmal 2013. Da hatte das Schulmuseum eine Ausstellung über Anne Frank zeigen wollen, die man statt im stadteigenen Kinosaal in einer Kongresshalle unterbrachte - gegen Miete, wie man im Stadtrat anmerkt.
Ähnliches droht auch für geplante weitere Ausstellungen des Schulmuseums, darunter eine über den früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler und eine über Jugendgruppen in der NS-Zeit. Schließlich scheint Hollitzer fest entschlossen, den Saal dauerhaft besetzt zu halten. Die Vereinbarung von 2003 stellt er mit der Behauptung in Frage, damals sei »nicht absehbar« gewesen, dass sich Leipzig einmal als »›Stadt der Friedlichen Revolution‹ verstehen würde«. Und eine Formulierung der SPD, wonach der Saal »dauerhaft« vom Schulmuseum oder dem Jugendparlament genutzt werden soll, stilisiert der Chef der »Runden Ecke« zum »Affront« hoch - ohne darauf einzugehen, dass sein Museum selbst seit Jahren gegen Regeln verstößt. Im Stadtrat mahnt man zu Vertragstreue. Die Bürgerbewegung sei 1989 »nicht zuletzt für den Rechtsstaat auf die Straße gegangen«, sagt Adam Bednarsky, Abgeordneter und Stadtchef der LINKEN: »Dazu gehört auch, Verträge einzuhalten und kein Sonderrecht für einen Verein in Anspruch zu nehmen.«
In der »Runden Ecke« gibt man sich derweil trotzig: Es gebe keine Zusage für einen »Abbruch« der Ausstellung, sagt Hollitzer - einer Ausstellung, die in Leipzig weithin ohnehin als nicht übermäßig gelungen gilt. Freundlich formuliert, könnte sie als äußerst materialreich bezeichnet werden. Die Stadt hatte dem Trägerverein der »Runden Ecke« auch schon 50 000 Euro für die Erarbeitung eines neuen Konzepts zugesagt und die Hälfte ausgezahlt; vorgelegt wurde dieses in der gestellten Frist freilich nicht. Bei einem neuen Anlauf soll man, fordert die SPD, dem Museum unter die Arme greifen. Spätestes zum 30. Jahrestag, also 2019, müsse das Museum »zukunftsweisend« gestaltet sein.
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