Ausgerechnet Hoffenheim

Die Erstligapremiere führt RasenBallsport Leipzig ins Kraichgau - ein Familientreffen

  • Martin Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Spieler, drei Co-Trainer, der Chefscout und der Sportdirektor: RB Leipzig hat viel Hoffenheim in sich, wenn es am Sonntag gegen 1899 geht. Vor allem Ralf Rangnick verbindet viel mit dem Gegner.

Von Martin Henkel, Leipzig

An diesem Sonntag beginnt für RasenBallsport Leipzig die erste Saison in der 1. Fußball-Bundesliga. Und das ausgerechnet in Hoffenheim. Das Spiel ist eine Art Familientreffen. Es sind dabei vor allem einige Leipziger, die mit dem Gegner eine lange Geschichte verbindet. Und wie das bei einer ordentlichen Familie der Fall ist, wird sich auf das Wiedersehen nicht jeder freuen. An ihre alte Wirkungsstätte kehren die Spieler Marvin Compper, Dominik Kaiser, Davie Selke, die Athletiktrainer Kai Kraft und Nicklas Dietrich, Chefscout Johannes Sporf sowie Assistenztrainer Zsolt Löw zurück. Und Ralf Rangnick.

Rangnick ist heute RB-Sportdirektor, davor war er ein Jahr lang Leipzigs Trainer, nachdem er 2012 damit betraut worden war, aus den Zuwendungen des österreichischen Getränkeunternehmens Red Bull bei den konzernalimentierten Fußballklubs in Salzburg, New York und Leipzig etwas Vernünftiges zu machen. So wie er das zuvor auch schon in Hoffenheim vollbracht hatte.

Es gibt wohl niemanden außer Dietmar Hopp, der so sehr mit der Geschichte von 1899 Hoffenheim in Verbindung gebracht wird, wie der gebürtige Schwabe Rangnick. Und es gibt wohl keinen Leipziger Sonntagsgast, der mit einem mulmigeren Gefühl anreisen wird. Natürlich, auch Compper ist nicht frei von Anspannungen. Der Innenverteidiger verließ Hoffenheim im Sommer 2013 ohne Blumen, nachdem die Beziehung mitten im Abstiegskampf implodiert war: Compper wartete auf ein neues Vertragsangebot, der Verein auf unbedingte Gefolgschaft im Abstiegskampf. Beide warteten vergeblich. Compper sah sich anderweitig um, der Verein suspendierte ihn, er wechselte nach Florenz.

Der 31-Jährige aber freue sich auf die Rückkehr, weil die damals »handelnden Personen nicht mehr da sind« - sprich Trainer Marco Kurz und Manager Andreas Müller. »Aber ich kenne da schon noch ein paar und die sehe ich gern wieder.« Kaiser und Selke freut’s angeblich auch. Selke war Jugendspieler der TSG, Kaiser stand elf Mal im Profikader, bevor er 2012 nach Leipzig wechselte.

Bei Rangnick allerdings wird es knifflig. Der 58-Jährige war fünfeinhalb Jahre in Hoffenheim. 2006 bekam er von Milliardär Hopp den Auftrag, aus einem Dorfverein einen Erstligisten zu formen. Zwei Jahre später war der Job teilerledigt, Rangnick stieg in die erste Liga auf und gewann auf Anhieb die Herbstmeisterschaft.

Rangnicks TSG - das waren Spieler wie Chinedu Obasi, Demba Ba, Vedad Ibisevic, Sejad Salihovic, Andreas Beck, Marvin Compper, Carlos Eduardo, Firmino, Luiz Gustavo. Das war ein blitzschneller Pressing- und Konterfußball lange bevor Jürgen Klopp und Borussia Dortmund damit in Verbindung gebracht wurden. Und das war ein Abschied, wie man es dem Klub nach dieser Geschichte niemals zugetraut hätte. Im Winter drängte Hopp auf einen Verkauf Gustavos an die Bayern - gegen Rangnicks ausdrücklichen Willen. Am 1. Januar warf der Trainer hin.

Rangnick war seitdem nie wieder in Hoffenheim. Noch heute wirkt das unrühmliche Ende der Beziehung wie ein Stachel. Das würde er natürlich nie so sagen; er gäbe damit preis, dass ihm die Jahre etwas bedeutet haben. Immerhin hat er nirgendwo sonst in seiner Karriere so tiefe Spuren hinterlassen. Darauf angesprochen entgegnete er im Trainingslager von RB Leipzig in Grassau: »Ich habe da keine größeren Gefühle.«

Klingt sachlich, aber verrät die Empfindungen dahinter. Niemand hat keine Gefühle nach fünfeinhalb Jahren Beziehung. Rangnick will trotzdem, dass jeder denkt, da ist nichts. Vor allem die verlorene Perspektive, das unfertige Konstrukt Hoffenheim - das ist, als würde man ein Haus nicht fertig bauen. Das tut man eben doch nicht so einfach ab. Trotzdem hat Rangnick das Gespräch über seine Rückkehr nach Hoffenheim in Sätzen wie diesen nüchtern ausklingen lassen: »Der Verkauf von Gustavo hat dazu geführt, dass ich den Verein verlassen habe.« Heute ist es zumindest nicht mehr von Bedeutung. RasenBallsport Leipzig, das ist Rangnicks Gegenwart.

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