»Du bist Gewerkschaftsmitglied, du kannst gehen«
Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger über Vielfalt, Seilschaften und die Alternativlosigkeit der Quote
Der Landkreis Dithmarschen im hohen Norden ist nicht als die Speerspitze der Arbeiter- oder Frauenbewegung bekannt …
... nicht wahr! Ernst Breit, in den 1980er Jahren DGB-Vorsitzender, war Dithmarscher. Aber ja, es war schon eine ziemlich konservative Gegend.
Und aus welchem Familienumfeld kommen Sie?
Mein Vater hat in einer Fensterfabrik, meine Mutter als Schwester im Krankenhaus gearbeitet. Beide im Schichtdienst, auch am Wochenende. Beide waren Gewerkschaftsmitglieder. Die Erziehung haben eher meine Schwestern übernommen. Sie waren sehr politisch und haben dafür gesorgt, dass ich es auch werde.
Sie haben 1981 die Ausbildung zur Hotelfachfrau in Ihrem Heimatort angefangen und sind bald in die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) eingetreten. Sie sprachen einmal davon, dass das eine »Kriegserklärung« gewesen sei, und die Chefs Ihnen gedroht hätten, Ihr starkes Rückgrat zu brechen.
Genau, so war es.
Klingt ja schlimm.
Das war schlimm. Ist es heute noch. Das zeigen die hohen Zahlen der Jugendlichen, die ihre Ausbildung im Gastgewerbe abbrechen. Auch heute beklagen die Azubis raue Umgangsformen und wir wissen aus dem Ausbildungsreport, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht erwünscht sind.
Warum?
Es gab und gibt noch immer Chefs, die dann komplett durchdrehen - bis zum Rauswurf. Gerade in der Probezeit ist es gefährlich. Da kann es passieren, dass gesagt wird: »Du bist Gewerkschaftsmitglied, du kannst gehen.« Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist in dieser Branche bei vielen Arbeitgebern dermaßen verpönt, dass sie sie mit Verrat gleichsetzen.
Arbeit im Hotel ist anstrengend und oft ausbeuterisch - egal welchen Geschlechts die Beschäftigten sind.
Die Ausbeutung der Auszubildenden ist unabhängig davon, ob sie Klaus oder Klaudia heißen. Ob Sie Koch gelernt haben oder Hotelfachfrau: Auszubildende werden oft von Anfang an wie Fachkräfte eingesetzt. Was aber diese Branche so besonders und lebendig macht, ist die Vielfalt.
Was heißt das?
Es war und ist völlig selbstverständlich, dass Menschen zusammenarbeiten, die aus Dithmarschen oder Bayern kommen, aus Spanien oder anderen Ländern dieser Erdkugel. Das ist, was diese Branche lebendig - und was sie auch schön macht. Wären die Rahmenbedingungen andere, wäre es einfach eine tolle Branche.
An welcher Stelle trat die Auseinandersetzung mit feministischen Themen in Ihr Leben?
Sehr früh. Auch da bin ich geprägt durch meine älteren Schwestern. Hilfreich war auch ein sieben Jahre älterer Bruder, der meinte, ich sei sein Judoübungsgerät. Ich habe eine starke, selbstbewusste Mutter. Es war in den 1970er Jahren ungewöhnlich, als Frau mit vier Kindern in Vollzeit zu arbeiten, gerade in Dithmarschen. Da herrschte das typische Rollenbild: Der Mann arbeitete, die Frau hatte die Kinder zu erziehen und den Haushalt zu führen. Für meinen Vater waren Abwaschen und Kochen aber selbstverständlich. Als ich Anfang der 1980er Jahre nach Hamburg kam, war die Stadt im Aufbruch. Auch ich war mit Latzhose, den lila Tüchern und T-Shirts unterwegs.
Ihre Wahl zur Vorsitzenden 2013 war ein Meilenstein: die erste Frau an der Spitze einer industriell geprägten Gewerkschaft. Sind Ihre Antrittspläne aufgegangen?
Sie sind im Aufgehen. Zweieinhalb Jahre reichen nicht, um sagen zu können: Jetzt haben wir die gelebte Gleichstellung in der gesamten NGG. Mein Ziel war unter anderem, im hauptamtlichen Bereich die Quote der Frauen zu erhöhen und die Frauen zu stärken, mit Erfolg. Häufig ist das gar nicht mehr nötig, weil die neue Frauengeneration mit einem gesunden Selbstbewusstsein zu uns kommt. Ein ganz dickes Brett, das wir derzeit bohren, ist die Überprüfung unserer rund 3500 Tarifverträge mit dem Entgeltgleichheits-Check, um festzustellen, wo es geschlechterspezifische Unterschiede gibt. Dazu haben wir uns verpflichtet, und es wird viele Jahre dauern, bis wir am Ende sagen können: Unsere Tarifverträge sind jetzt diskriminierungsfrei.
Sie waren in den 1980er Jahren links und außerparlamentarisch aktiv. War der Schritt in die Hauptamtlichkeit schwer?
Nicht wirklich. Ich war Mitglied, Berührungspunkte gab es schon immer. Als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, hauptamtlich für die NGG zu arbeiten, war das im Prinzip die Erfüllung eines großen Wunsches. Wahrscheinlich mit einer der wichtigsten Momente in meinem Leben.
Was haben die Kollegen gedacht, als die Rosenberger mit der lila Latzhose reinkam?
Da hatte ich keine lila Latzhose mehr an. Aber das waren dann die 1990er, das war ja noch schrecklicher.
Modisch, oder was?
Ja klar! Da waren die 1980er ja noch okay. Die 90er gingen gar nicht. Aber egal ... Zu dem Zeitpunkt gab es viel weniger hauptamtliche Kolleginnen. Auch in den Betriebsräten arbeiteten weniger Frauen, wobei ich auch schon in Lübeck auf wirklich ganz starke und großartige Frauen getroffen bin. Emmi Lässig beispielsweise, damals Betriebsratsvorsitzende bei Niederegger Marzipan und im Lübecker NGG-Vorstand. Sie hat mich an die Hand genommen - auch, was den Umgang mit den Kollegen betraf. Es gab zwar in jedem Landesbezirk Frauensekretärinnen, aber wir hatten manchmal das Gefühl, belächelt zu werden.
Und das hat sich geändert?
Sicher haben wir in 26 Jahren, die ich hauptamtlich arbeite, viel erreicht, auch, wenn es gedauert hat, dass Frauenarbeit bei uns ernst genommen wurde. Möglicherweise hätten wir an der einen oder anderen Stelle auch selbstbewusster auftreten sollen. In den Betrieben wurden wir jedoch akzeptiert. Jede Landesbezirksfrauensekretärin betreut auch Betriebe. Dort waren wir immer auf Augenhöhe mit den Betriebsräten. Ich denke, dass wir heute auch mit der klassischen Frauenarbeit erfolgreich sind.
Woran machen Sie das fest?
Wir fördern konsequent ehrenamtliche Frauen, haben Rhetorikseminare organisiert, um sie als künftige Betriebsrätinnen stark zu machen. Wir haben sie ermuntert, sich für die Betriebsratswahl aufstellen zu lassen und dann nicht mehr nur die Schriftführerin zu sein, sondern den Mut zu finden, als Vorsitzende oder Stellvertreterin zu kandidieren. Das hat geklappt.
Die Unternehmerseite sagt immer wieder, Quoten seien Symptombekämpfung und wirtschaftsschädigende Bürokratie. Es brauche eher bildungs- und familienpolitische Maßnahmen. Richtig oder falsch?
Das stimmt, ja. Wir müssen in der Bildungspolitik und in der Familienpolitik Frauen weiterhin stärken. Da ist auch der Gesetzgeber gefordert, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschultert werden kann, ohne dass das bei den Frauen zu Karriereknicks führt. Das ist hier aber nicht die Frage. Es geht darum: Was passiert konkret im Betrieb? Und die Quote ist für Arbeitgeber unbequem, genauso wie jetzt das Lohngleichheitsgesetz. Da können sich die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung stehlen.
Was halten Sie von dem Entwurf von der Bundesfamilienministerin?
Absolut notwendig, auch wenn er uns nicht weit genug geht. Ich sage es immer wieder: Keine Frau ist gerne Quotenfrau. Aber die Quote ist nach wie vor die einzige Möglichkeit, um traditionelle Strukturen zu durchbrechen und Frauen stark zu machen. Solange Arbeitgeber nicht in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass in ihren Betrieben genügend Frauen in verantwortungsvollen Positionen arbeiten; wenn immer noch die männlichen Kollegen, auch wenn sie schlechter qualifiziert sind, bevorzugt werden, weil die Seilschaften besser funktionieren - solange ist die Quote ohne Alternative.
Was ist struktureller Sexismus?
Ein Beispiel: Das Ausgeschlossensein aus Kommunikationswegen passiert tagtäglich, nach wie vor. Mir hat mal jemand vor vielen Jahren gesagt: Wir Männer werden immer die Tarifverhandlungen führen, weil wir die Arbeitgeber auch auf der Toilette treffen. Das klingt hart, ich glaube aber schon, da ist was dran.
Sie meinen die Kumpanei.
Ich meine das Schulterklopfen. Es gibt viele Frauen in Führungspositionen, die letztlich auch ein Stück weit so handeln - weil es vermutlich der einzige Weg ist, sich in den Männerstrukturen zu behaupten. Das ist schade. Ich meine zwar nicht, dass wir Frauen die besseren Chefs sind oder die Welt eine bessere wäre, wenn nur Frauen die Macht hätten. Es gibt genug Beispiele, dass das nicht so ist. Aber ich bin sicher, dass Frauen, gerade was soziale Kompetenz und Empathie angeht, Stärken haben, die wir nutzen und zu denen wir einfach stehen sollten.
Jetzt werden Sie aber emotional …
Das ist oft als Vorwurf gemeint, heute wie in den 1950er Jahren. Es ist aber eine weibliche Stärke, auf die wir uns verlassen sollten.
DGB-Thema 1962 war die Lohngleichheit. Die Kampagne »Frau geht vor!« startete 1992. Gibt es einen Punkt, an dem Sie sagen: »Macht euren Scheiß alleine!«?
Seit Anfang der 1980er Jahre kümmere ich mich hauptamtlich um Gleichberechtigung. Meine Kolleginnen, die mittlerweile in Rente sind, haben ja vor mir auch als hauptamtlich Beschäftigte schon an diesem Thema gearbeitet. Seit fast fünf Jahrzehnten ist das bei NGG ein Thema. Ja, ich gebe zu, manchmal denke ich schon, es reicht jetzt tatsächlich. Aber wir - meine Kolleginnen und ich - verlieren nicht die Geduld und haben Erfolg. Wir wissen, dass der Fortschritt eine Schnecke sein kann. Aber: Mittlerweile gibt es tatsächlich auch Arbeitgeber, für die das Thema wichtig ist, die die Gleichberechtigung über einen Tarifvertrag regeln wollen. Das ermutigt uns. Und deshalb wird uns nicht die Puste ausgehen.
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