Keine Ruhe auf dem Mittelmeer

Italiens Küstenwache rettet weitere 1000 Bootsflüchtlinge / Abwehr wird verstärkt - auch mit Schusswaffengebrauch

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die italienische Küstenwache hat erneut mehr als 1000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet. Allein am Sonntag seien rund 1100 Menschen in der Straße von Sizilien aus acht Schlauchbooten, zwei Kähnen und einem größeren Boot gerettet worden, teilte die Küstenwache mit.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr bereits rund 105.000 Flüchtlinge mit Booten nach Italien gekommen. Mehr als 3000 Menschen starben bereits bei der gefährlichen Überfahrt.

Die IOM macht Schlepper für die tödlich endenden Fluchtversuche mitverantwortlich. Sie wählten immer riskantere und längere Routen für die Überfahrt von der nordafrikansichen Küste. Schon zwischen Libyen und Italien liegen mehr als 300 Kilometer offene See. Die Route aus Ägypten ist noch weiter. Viele der Boote seien zudem nicht seetauglich. Motoren versagen oder haben zu wenig Sprit, die Boote sind undicht oder kentern bei hohem Wellengang.

Es ist davon auszugehen, dass das Ausweichen der Boote den Hintergrund hat, dass Flüchtlinge nicht am Strand an der Abfahrt gehindert werden wollen. Das Mittelmeer gilt als die am besten überwachte See überhaupt.

Schüsse auf Rettungsschiff von Ärzte ohne Grenzen

Die Maßnahmen zur Abwehr der Flüchtlinge nehmen vor diesem Hintergrund immer absurdere und menschenverachtende Züge an. Erst vor wenigen Tagen berichtete die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, das libysche Militär habe auf eines ihrer Rettungsschiffe geschossen.

Ein Marine-Sprecher hat den Vorfall nun bestätigt. Demnach habe die libysche Küstenwache das Schiff und seine Besatzung identifizieren wollen, was die Crew angeblich verwehrte. Daraufhin haben die Soldaten Warnschüsse abgegeben, so Brig Ayoub Qassim gegenüber Radio France International. »Wir sind die libysche Küstenwache und das Boot sollte stoppen und sich identifizieren«, so Qassim.

Laut dem britischen »Guardian« ist Qassim bereits in der Vergangenheit mit Kritik an der europäischen Militärmission EU NAVFOR MED alias »Sophia« aufgefallen, an der sich Schiffe von Hilfsorganisationen zumindest indirekt beteiligen. »Brauchen wir Soldaten, um Zivilistenboote und Migranten zu retten?«, fragte Qassim jüngst gegenüber der Nachrichtenseite Libyan Observe. Die EU versuche einzig, sich als stärkste militärische Kraft im Mittelmeer zu formieren.

Es handele sich um einen ernsten und besorgniserregenden Angriff. »Unser Schiff wurde beschossen und unsere Mitarbeiter hätten Schaden nehmen können«, erklärte Ärzte ohne Grenzen. Die Organisation teilte mit, die Geschehnisse vom 17. August zusammen mit den libyschen Behörden aufklären und dafür sorgen zu wollen, dass ähnliche Vorfälle, »die Leben in Gefahr bringen«, nicht noch einmal passieren. »Unsere oberste Priorität ist es zu garantieren, dass humanitäre Organisationen wie unsere weiter in der Lage sind, Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer durchzuführen, um Menschenleben zu retten«, heißt es.

Lebensgefährdende Frontex-Standards

Dass dies offenbar für die EU-Agentur Frontex keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ein Bericht von »The Intercept« aus der vergangenen Woche. Wie offizielle Dokumente belegen, hat die griechische Küstenwache bei Einsätzen im Auftrag der europäischen Grenzschutzagentur offenbar mehrfach auf mit Flüchtlingen besetzte Boote geschossen.

»The Intercept« zitiert zudem ZeugInnen wie eine 19-jährige Afghanin. Sie habe bei ihrer Überfahrt von der Türkei eine Kugel in den Rücken bekommen, als die griechische Küstenwache das Flüchtlingsboot zu stoppen versuchte. Einem internen Bericht von Frontex zufolge habe das Boot 16 Einschusslöcher aufgewiesen. Ein Offizier sei anschließend verhaftet worden. Die Untersuchung durch griechisches Gericht kam zu dem Ergebnis, dass kein Fehlverhalten festzustellen sei, da das Boot eines Schleppers gestoppt werden sollte.

Der Autor Zach Campbell zitiert aus Dokumenten von mehreren Vorfällen dieser Art, etwa von März 2014 und November 2015. Darin wird das Abgeben von Warnschüssen und die Versuche, die Motoren der Boote zu treffen als standardmäßiges Vorgehen dargestellt.

Derartige »Pushbacks«, also Zurückweisungen von Flüchtlingen sind jedoch völkerrechtswidrig. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International (AI) berichten immer wieder über Vorfälle – unter Heranziehung von Zeugenaussagen.

»Das neue Beweismaterial bestätigt das gefährliche und illegale Vorgehen der griechischen Küstenwache, das wir in den Jahren 2013 und 2014 dokumentiert haben«, erklärt Giorgos Kosmopoulos, Forscher bei AI zu Rechten von Flüchtlingen und Migranten in Europa, gegenüber »nd«. Dazu gehörten weitverbreitete »Pushbacks«, Gewalt gegen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten sowie auch Schüsse, wie sie »The Intercept« beschreibt. Die mangelnde Rechenschaftspflicht sei laut Kosmopoulos einer der Hauptgründe für derartige Vorkommnisse.

»Es stimmt jedoch auch, dass in jüngster Zeit keine Berichte über großflächige Pushbacks in der Ägäis bekannt geworden sind und dass die griechische Küstenwache Hunderte Rettungsoperationen durchgeführt hat«, so Kosmopoulos weiter.

Erst am frühen Morgen erreichten merh als 300 Menschen die Küsten der Inseln Lesbos, Kos und Chios, wie die griechische Zeitung »Kathimerini« berichtet.

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