«So radikal wie ein Evangelischer Kirchentag»

Linke Kritiker werfen der Degrowth-Bewegung vor, die einzelnen Menschen mit ihren überzogenen Ansprüchen für die Misere verantwortlich zu machen

  • Max Zeising, Budapest
  • Lesedauer: 2 Min.

Auf dem ersten Blick scheint die Degrowth-Bewegung imstande, verschiedene politische Gruppen zu vereinen. Grüne können sich mit Postwachstumsideen genauso identifizieren wie Linke, sowohl die bürgerliche Mitte als auch radikaler eingestellte Menschen können sich dafür erwärmen. Es ist eine sehr breite Bewegung, wie an der Vielzahl ihrer Partner zu erkennen ist. Dazu gehören der evangelische Entwicklungsdienst «Brot für die Welt» ebenso wie die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

Es gibt aber auch Kritik am Degrowth-Ansatz - speziell von linker Seite. In der «Jungle World» meldete sich beispielsweise die «Interessengemeinschaft Robotercommunismus, zu Wort, die zur antikapitalistischen Leipziger Bibliothek »translib« gehört. Die Interessengemeinschaft hatte sich anlässlich der Degrowth-Konferenz 2014 in der Messestadt gegründet. Sie versuchte darzulegen, »warum keiner der zahlreichen Ansätze aus dem Degrowth-Patchwork die ökologische Krise aufhalten und ein besseres Leben herbeiführen wird«.

Sie wirft der Bewegung eine »moralisierende Volkspädagogik« vor, die es sich zum Ziel gesetzt habe, »dem nimmersatten Pöbel mit den neuesten Erkenntnissen positivistischer Glücksforschung zu erklären, warum weniger manchmal mehr sei«. Weiterhin ziele »die hausbackene Rede vom frei flottierenden ›Wachstumsdenken‹ darauf ab, die maßlosen Individuen mit ihren überzogenen Ansprüchen zum Ursprung der Misere zu erklären«. Frei übersetzt: Degrowth bezeichne das Konsumverhalten des einzelnen Menschen als Ursache allen Übels - nicht das System.

Weiterhin wird der Bewegung nachgesagt, nicht mit der kapitalistischen Produktionsweise zu brechen. »Tatsächlich bleibt aber auch in den radikaleren Postwachstums-Konzeptionen alles beim Alten«, schreibt die Interessengemeinschaft Robotercommunismus und schlussfolgert: »Degrowth ist etwa so radikal wie ein Evangelischer Kirchentag.« Und: Degrowth vertrete einen »grünen Wertkonservatismus«. In diesem Zusammenhang kritisieren die Autoren des Beitrages auch die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens als »linkes Luftschloss«.

Sind diese Aussagen nachvollziehbar? Wenn man sich die Frage stellt, inwiefern ein Mensch in einem auf Gewinnmaximierung, Ausbeutung und Egoismus beruhenden System überhaupt zum Altruismus befähigt werden und sozial handeln kann, dann schon. Gleichzeitig sind die Vorwürfe typisch für Linksradikale, die nicht bereit sind, auch nur einen Millimeter auf politische Kontrahenten zuzugehen. Eine solche Generalkritik an der Degrowth-Bewegung findet sich auch in einem anderen Beitrag in der »Jungle World«. Darin wird Niko Paech, einem der führenden Vertreter des Degrowth-Ansatzes, vorgeworfen, er vertrete »einen Mix aus obskuren, konservativen und kulturpessimistischen Ansätzen«. Für ihn seien die Menschen im Westen »eine Masse hemmungsloser Konsumidioten«.

Paech wehrt sich: »Ich werde oft als Partykiller bezeichnet. Aber die Frage ist doch, auf welche Party wir gehen wollen. Ich bin für eine Party, die wir alle verantworten können.«

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