Foodwatch glaubt Gabriels Nein zu TTIP nicht
Abkommen »nur deshalb für tot erklärt, um Ceta durchzudrücken« / »Nein zu Ceta«: Größte Beschwerde in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts
Berlin. SPD-Politiker äußern sich öffentlich gegen das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP. Doch wie ehrlich ist der Abgesang von SPD-Chef Sigmar Gabriel und anderen? Die Verbraucherorganisation Foodwatch glaubt den Worten nicht und hält die Äußerungen, die zu Streit in der Bundesregierung führen, für nichts als Taktik. »So mancher erklärt TTIP nur deshalb für tot, um Ceta durchzudrücken«, sagte Foodwatch-Volkswirtin Lena Blanken. Das vor der Unterzeichnung stehende Abkommen der EU mit Kanada bedeute aber »nicht weniger als TTIP durch die Hintertür«.
Bundeswirtschaftsminister Gabriel hatte TTIP am Wochenende für »de facto gescheitert« erklärt, aber Ceta verteidigt. Seine SPD will ihre Position zu Ceta auf einem Parteikonvent am 19. September festlegen. Blanken nannte die beiden Abkommen »Zwillinge im Geiste«. Auch Ceta werde sich negativ auf den Umwelt- und Verbraucherschutz auswirken. Der Einfluss der Parlamente werde sinken, der der Konzerne steigen. Mit den Vereinen Campact und Mehr Demokratie reicht Foodwatch an diesem Mittwoch Verfassungsbeschwerde gegen Ceta ein. Mehr als 125.000 Menschen haben sich angeschlossen. Damit ist »Nein zu Ceta« die größte Klage in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Die gut 70 Kartons mit den Vollmachten wurden am Dienstag mit einem Laster nach Karlsruhe transportiert. Per Eilantrag wollen die Initiatoren verhindern, dass Ceta mit der für Ende Oktober geplanten Unterzeichnung für vorläufig anwendbar erklärt wird. Die Klage ausgearbeitet hat der Kölner Völkerrechts-Professor Bernhard Kempen.
Derweil streiten Union und SPD weiter über TTIP. Unionsfraktions-Vize Michael Fuchs sagte der »Passauer Neuen Presse«, Gabriel habe einen Amtseid darauf geleistet, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, nicht dem Wohle seiner Partei. »Ich erwarte deshalb, dass er sich in den kommenden Wochen und Monaten mit ganzer Kraft dafür einsetzt, dass TTIP noch erfolgreich und mit hohen Verbraucherstandards mit der Obama-Administration abgeschlossen werden kann«.
SPD-Fraktionsvize Hubert Heil warf Kanzlerin Angela Merkel dagegen vor, sie habe US-Präsident Barack Obama die deutsche und europäische Position nicht klar benannt. Offenbar habe sie nur Obamas Wunsch entsprechen wollen, das Abkommen schnell abzuschließen. »TTIP ist aber kein Selbstzweck«, sagte Heil den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »TTIP wird nicht mehr zustande kommen.« Auch der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, der SPD-Abgeordnete Bernd Lange, gibt dem Freihandelsabkommen mit den USA keine Chance mehr. »TTIP ist ein totes Pferd«, sagte der Europapolitiker, der wie Gabriel aus Niedersachsen kommt, der »Welt«. »Die Amerikaner bewegen sich in den Verhandlungen fast überhaupt nicht auf die europäischen Forderungen zu.« Eine Wende sei »völlig unrealistisch«.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte die Bundesregierung auf, die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über TTIP voranzutreiben. »Die Bundesregierung muss in ihrem letzten Amtsjahr ihr wirtschaftspolitisches Siechtum endlich abschütteln und mit voller Kraft am Gelingen des Freihandels mit den USA arbeiten«, sagte Lindner. Kanzlerin Merkel könne nicht schweigend zusehen, wie Wirtschaftsminister Gabriel »das wirtschaftspolitisch bedeutendste Vorhaben dieser Legislaturperiode den Bach runtergehen lässt«. Wenn Gabriel die Doppelbelastung aus SPD-Vorsitz und Wirtschaftsminister »nicht unter einen Hut bekommt, sollte die Bundeskanzlerin ihm das Verhandlungsmandat entziehen und TTIP im Kanzleramt zur Chefsache machen«, so Lindner. »Gabriel bedient den Stammtisch und die SPD-Linke, aber vernachlässigt seine Aufgabe als Wirtschaftsminister. Als Wirtschaftsminister sollte er tun, was den Wohlstand in unserem Land mehrt, statt sich den globalisierungskritischen Weltpessimisten seiner Partei unterzuordnen.« Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.