Am großen Rad gedreht
Das deutsche Radteam Bora kauft sich mit viel Geld für die neue Saison ein Spitzenteam zusammen
»Mach jetzt ein Foto von dem Team hier. Im nächsten Jahr wird es um den Bus ganz anders aussehen. Und dann vergleiche das Bild mit dem Auflauf nächstes Jahr«, meint ein Mitarbeiter vom Rennstall Astana zu »nd« und weist mit einer Handbewegung auf den von Journalisten wie von Fans ziemlich ignorierten Teambus von Bora - Argon 18. Der deutsche Zweitdivisionär, der bei dieser Spanienrundfahrt lediglich durch zwei zweite Etappenplätze der Sprinter Rüdiger Selig und Michael Schwarzmann in den Ergebnislisten auffiel, bewirbt sich für die nächste Saison um eine World Tour-Lizenz. Mit erhöhtem Budget und Stars wie Weltmeister Peter Sagan und Tour-de-France-Bergkönig Rafal Majka will der Rennstall aus Raubling in Bayern die ganz großen Erfolge anpeilen.
Die Aussicht darauf ist bei den aktuellen Fahrern mit Vorfreude, aber auch mit Sorge verknüpft. »Ich freue mich schon darauf. Für uns im Team wird sich vor allem die mediale Wahrnehmung ändern«, meint Schwarzmann am Rande der Vuelta. Der Kemptener ist Urgestein bei Bora, seit 2010 dabei, als der Rennstall noch NetApp hieß und in der dritten Kategorie lizenziert war. Schwarzmann hat all die Entwicklungsschritte mitgemacht: Den Aufstieg in die zweite Kategorie, die wild card-Einladungen zu mittlerweile allen drei großen Rundfahrten und einigen Radsportmonumenten. Die Entwicklungskurve flachte in den letzten Jahren allerdings etwas ab, was einerseits am Weggang des fragilen, bei NetApp aber gereiften Rundfahrttalents Leo König lag. Der Tscheche wurde Tour-Siebter (2014) und Vuelta-Neunter (2013), bevor er bei Team Sky anheuerte.
Rückschläge brachten aber auch die häufigen Verletzungen und Krankheitspausen der neuen Kapitäne Dominik Nerz und Sam Bennett. Für beide wird die Luft jetzt dünner: Der Pole Majka ist als Kletterer eine Klasse besser als Nerz, Sagan als Sprinter und Klassikerspezialist gleich zwei Klassen oberhalb von Bennett anzusiedeln.
Für manch aktuellen Bora-Profi wirkt die Ankunft der Neuen stimulierend. »Es ist schön, wenn man Fahrer ins Team bekommt, die die eigene Vorarbeit dann auch mit Erfolgen krönen können. Da weiß man dann, warum man früh in den Wind herausgeht«, meint Schwarzmann munter. Der Sprinter hat bereits einen Vertrag für 2017.
Verhaltener ist die Freude bei Cesare Benedetti. Der Italiener ist ebenfalls seit 2010 im Team, hat aber noch keinen neuen Vertrag. »Ich hoffe, dass mir in der letzten Vuelta-Woche Teamchef Ralph Denk einen Vorschlag unterbreitet. Ich gebe hier jedenfalls mein Bestes«, meinte er. Vier erfolgreiche Fluchtversuche startete er schon bei dieser Vuelta, holte die Ränge 7 und 10 heraus.
Das drohende Radsportprekariat trieb auch den Teamkollegen Christoph Pfingsten in Ausreißergruppen. »Leider habe ich noch keinen Vertrag für das nächste Jahr, aber Gespräche laufen. Vielleicht helfen mir ja meine offensive Fahrweise und meine Helferdienste«, meinte der Potsdamer nach seinem jüngsten 21. Etappenplatz bei einer erfolgreicher Massenflucht.
Klar ist, dass ein großer Schnitt erfolgen wird. Allein mit Sagan kommen drei weitere slowakische Fahrer, darunter dessen Bruder Juraj. Majka wird wird von zwei polnischen Landsleuten begleitet. Zum Saisonende wird es zahlreiche Abschiedsbriefe geben. »Natürlich ist auch Wehmut dabei, wenn man sich von Teamkollegen trennt. Aber als Fahrer kann man da nichts machen. So ist Profiradsport eben«, meint Schwarzmann pragmatisch.
Im Peloton beobachtet man die Entwicklung mit Neugier - und mit einer Spur von Häme. »Man kann ein Team nicht zusammenkaufen, man muss es entwickeln. Die Ankunft der großen Gruppe um Sagan wird die Balance gehörig durcheinander bringen«, glaubt Patrick Lefevere. Der Boss vom Rennstall Etixx Quick Step hatte auch aus diesem Grund Abstand von einer Verpflichtung Sagans genommen. »Ehrlich gesagt hatte ich aber auch nicht das Geld dafür«, sagt er lachend. Bora dreht an einem größeren Rad als der Belgier, das ist auch eine neue Entwicklung.
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