Verkauf und Abriss?
Die Thomas-Mann-Villa in Kalifornien steht zum Verkauf. Was aus ihr wird, ist völlig offen
Pacific Palisades, am Westrand von Los Angeles, ist eine begehrte Adresse. Stars wie Steven Spielberg, Arnold Schwarzenegger, Ben Affleck und Nicole Kidman kauften sich in dem Luxusviertel ein. Auf dem San Remo Drive mit der Hausnummer 1550 steht seit Wochen ein Anwesen für knapp 15 Millionen Dollar zum Verkauf. »Erstmals seit über 60 Jahren auf dem Markt«, preisen die Immobilienmakler das Objekt an, »auf einer der begehrtesten Straßen der Pacific Palisades Riviera« in der »ultra-exklusiven« Nachbarschaft.
Für den Millionenpreis wird ein zweistöckiges Haus mit fünf Schlafzimmern und sechs Badezimmern geboten, informiert die Maklerwebseite. Die Fotos zeigen eine von hohen Bäumen umgebene Villa mit einem Pool. »Kreieren Sie Ihr Traum-Anwesen oder renovieren und vergrößern Sie das bestehende Haus«, so die Empfehlung. Mit keinem Wort wird der berühmte Vorbesitzer des historischen Domizils erwähnt. Es ist die ehemalige Villa von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann.
Die Familie Mann hatte nach der Emigration aus Nazi-Deutschland von 1942 an zehn Jahre in dem Haus am San Remo Drive gelebt. Der Schriftsteller ließ die Villa von dem deutschstämmigen Bauhaus-Architekten Julius Ralph Davidson bauen. Hier schrieb er Werke wie »Joseph, der Ernährer«, »Doktor Faustus« und »Der Erwählte«.
Die auf Luxusanwesen spezialisierte Maklerin Joyce Rey will sich zum Verkauf der Thomas-Mann-Villa nicht äußern. Nur so viel teilte ihr Mitarbeiter Stephen Apelian mit: »Die Immobilie ist weiter auf dem Markt und wir zeigen sie ständig«. Allerdings nur »geeigneten« Käufern, sagt Apelian, also Interessenten mit entsprechenden finanziellen Mitteln.
»Wird das Haus von Thomas Mann abgerissen?«, betitelte die angesehene US-Zeitschrift »The New Yorker« unlängst einen Beitrag. Das Haus steht nicht unter Denkmalschutz. Der künftige Besitzer könnte mit der Abrissbirne anrücken und das Grundstück neu bebauen.
Das wollen die mehr als 2500 Unterstützer einer Online-Petition der Gesellschaft für Exilforschung, darunter viele Autoren, Verleger und Künstler, an der Spitze Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, verhindern. Sie fordern die Bundesrepublik auf, das Haus zu erwerben und zu einem Erinnerungs- und Begegnungsort auszubauen.
Der Ausgang ist ungewiss. Aus der Bundesregierung hieß es kürzlich nur, eine mögliche Übernahme werde »ergebnisoffen« geprüft. Auch wurde darauf verwiesen, dass die Bundesrepublik in Los Angeles mit der Villa Aurora bereits über eine kulturelle Begegnungsstätte verfügt.
Thomas Mann nannte die nur wenige Meilen entfernte im spanischen Stil gebaute Villa Aurora »ein wahres Schloss am Meer«. Er war mit anderen Emigranten häufig in dem Haus des Schriftstellers Lion Feuchtwanger und dessen Frau Marta zu Gast. Es war ein Treffpunkt prominenter Flüchtlinge, unter ihnen Bertolt Brecht, Arnold Schönberg, Kurt Weill, Theodor Adorno und Albert Einstein. Auch Aldous Huxley und Charlie Chaplin schauten vorbei. Pacific Palisades wurde zum »Weimar am Pazifik«.
Seit 1995 ist das Haus eine Stätte der Begegnung und des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs. Der deutsche Film feiert hier seinen traditionellen Oscar-Empfang. Jährlich werden über ein Dutzend dreimonatige Stipendien für Künstler, Komponisten und Filmschaffende vergeben. Der gemeinnützige Verein wird zum größten Teil durch Mittel des Auswärtigen Amtes finanziert.
Oscar-Preisträger wie Jochen Alexander Freydank und Florian Gallenberger arbeiteten in der Villa Aurora. Die Filmemacherin Maren Ade schrieb hier als Stipendiatin das Drehbuch für ihren Erfolgsfilm »Toni Erdmann«, erzählt Leiterin Margit Kleinman. Es gibt viel mehr Anfragen als Plätze. »Es ist ein sehr begehrtes Stipendium«, versichert Kleinman.
Auch die Villa Aurora war zeitweise vom Verkauf bedroht. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1958 hatte Marta Feuchtwanger das Anwesen der University of Southern California (USC) übertragen. Als sie 1987 starb, machten sich in Deutschland zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für den Erhalt des Exil-Kulturdenkmals stark. Für 1,9 Millionen Dollar wurde die baufällige Residenz der USC abgekauft. Deutlich weniger als die knapp 15 Millionen Dollar, die der Käufer der Thomas-Mann-Villa aufbringen muss.
1952 zog Mann mit seiner Familie nach Europa zurück, in die Schweiz. Der kalifornische Anwalt Chet Lappen und seine Frau Jon erstanden das Haus in Pacific Palisades. Im Jahr 2005 - dem 50. Todesjahr von Thomas Mann - erzählte das Ehepaar, dass häufig Fremde an der Tür klingeln würden. »Bei uns kommen Besucher aus aller Welt vorbei, die Thomas Manns Exil-Adresse aus seinen Tagebüchern kennen«, sagte die Hausbesitzerin damals.
Zudem äußerte sie den Wunsch, dass auch Manns früheres Wohnhaus - wie die Villa Aurora - als Kulturzentrum für die Nachwelt erhalten bliebe. Ihre Sorge: Der nächste Besitzer könnte die Villa abreißen und auf dem großen Grundstück vier neue Häuser bauen. »Das wäre wirklich zu schade«, sagte die alte Dame im Jahr 2005. Chet Lappen starb 2010 mit 91 Jahren in der früheren Thomas-Mann-Villa, zwei Jahre später kam das Haus als Mietobjekt auf den Markt. Jetzt könnte Jon Lappens Befürchtung wahr werden. Das Überleben des historischen Hauses ist nicht garantiert. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.